Mac Life: Herr Dr. Schefer, besitzen Sie ein Auto?
Dr. Niklaus Schefer: Ja, mein Partner und ich haben uns vor vier Jahren aus beruflichen Gründen (Materialtransport) einen mittlerweile 15-jährigen Audi A2 gekauft.
Lange Zeit besaßen Sie also kein Auto. Half Ihnen der Nicht-Besitz eines Autos letztlich bei dessen abstrakter Betrachtung?
Ich kann mir gut vorstellen, dass der Besitz eines Markenartikels emotional aufgeladen ist, sodass er eine rein ästhetische Betrachtung der (Konkurrenz-)Produkte beeinflusst beziehungsweise beeinträchtigt. Ich kenne einige Menschen, bei denen ich diesen subtilen Einfluss in Gesprächen rund ums Autodesign gespürt habe.
… wuchs am Kronberg bei Jakobsbad im Schweizer Kanton Appenzell Innerrhoden auf und studierte nach der Matura Philosophie, Psychologie und Sinologie in Konstanz, Zürich und Bern. Seine Doktorarbeit mit dem Titel „Philosophie des Automobils“ erschien 2008 in Buchform (Verlag Wilhelm Fink, 14,90 Euro). Schefer arbeitet als Prorektor am Gymnasium Thun und unterrichtet Philosophie und Psychologie.
Faszination Auto
Was fasziniert Sie als Philosoph am Auto?
Paul Watzlawiks berühmtes Kommunikationsaxiom lautet: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Das gilt auch fürs Auto: Mit beziehungsweise in einem Auto unterwegs zu sein bedeutet eine Botschaft an die Mitwelt. So verdichten sich im Automobil neben den Kennzahlen der Funktionalität und Technik viele weitere Dimensionen unseres modernen Lebens: soziale und kulturelle, ökonomische und ökologische. Es wird zu einem Objekt der Lebensgestaltung für Individuen. In den Trends und Modeströmungen kristallisiert sich aber der Zeitgeist. Kaum ein anderer Konsumgegenstand komprimiert so viele Aspekte und ist deshalb ein so guter „Lektüregegenstand“. Den Puls der Zeit in einer Gesellschaft, die sich als Konsumkultur beschreiben lässt, zu spüren und kritisch zu hinterfragen, sehe ich als eine wichtige Aufgabe der Philosophie an. Deshalb meine philosophische Faszination für dieses Objekt.
Als Nicht-Kenner sehen für mich heute alle Autos mehr oder minder gleich aus. Funktionalismus und Rationalismus scheinen das Autodesign nach wie vor zu beherrschen.
Ich widerspreche beiden Sätzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Eindruck der Indifferenz aus einer Form der Gleichgültigkeit entsteht, ähnlich wie für viele Menschen Kühe ununterscheidbar sind und diese sich über den Bauern, der sie rasch identifizieren und mit Namen ansprechen kann, wundern.
Gerade in den vergangenen zwanzig Jahren bestand eine wichtige Aufgabe der Designer in einer markentypischen Gestaltung der Front, des Grills und der Scheinwerfersignatur. Denn vor allem in den ziemlich gesättigten Märkten der westlichen Länder bedarf es wesentlich mehr als des Funktionalismus und Rationalismus, um im harten Wettbewerb bestehen zu können. Es geht vor allem darum, den Verkaufsgegenstand zu emotionalisieren und zu personalisieren. Gleichzeitig muss man die Produkte so bewerben, dass sie – neu geschaffene – Bedürfnisse dank technischem Fortschritt gekonnt zu befriedigen vermögen. Genau darin liegt der nach wie vor wirksame Mythos des Autos, der mit dem Mythos der Moderne und deren Dialektik eng verflochten ist.
Okay, anders gefragt: Waren Autos früher schöner?
Das ist eine schwierige Frage. Zunächst kann man Folgendes festhalten: Einerseits gibt es heute massiv verbesserte technische Möglichkeiten des Designs und der Produktion, andererseits werden diese durch stärkere Reglementierung zum Beispiel zum Schutz von Fußgängern eingeschränkt. Und dann ist es wichtig, dass entscheidende Wort zu klären: Was ist schön? Die Frage lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Beim Autodesign ist es sehr komplex. Wenn ein Unternehmen sich dadurch einen ökonomischen oder zumindest symbolischen Erfolg erhofft, dass es ein schönes – oder sagen wir: elegantes – Gefährt konstruiert, wird es in die Ästhetik des Designs investieren. Wenn die entsprechende Klientel (und diese hat je nach (Preis-)Segment durchaus verschiedene Präferenzen, sprich: einen anderen Geschmack) die Eleganz des Designs nicht wertschätzt, dann ergibt es auch wenig Sinn, in die Ästhetik zu „investieren“. Denn ästhetisch reizvoll kann auch auffallend oder schräg bedeuten.
Da sich das Angebot an der Nachfrage orientiert, geht es bei dieser Frage vor allem auch darum, dass sich die Bevölkerung ästhetisch bildet und sich nicht durch Kitsch oder Oberflächlichkeit betören lässt. Ein ästhetisch anspruchsvolles Publikum fordert die Designer heraus.
Vorbild Smartphone-Design?
Das Automobil hat das 20. Jahrhundert geprägt. Läuft ihm das Smartphone im 21. Jahrhundert den Rang ab?
Zum Teil ja. Aber was die ökonomische Bedeutung und Sichtbarkeit des Objekts angeht, spielt ein Auto in einer anderen, sozusagen bedeutsameren Kategorie. Zudem ist die Automobilindustrie darauf bedacht, ihre Macht und ihren Einfluss zu behalten. Dies hat sie in den vergangenen Jahrzehnten, in denen verschiedene Krisen, zum Beispiel die Ölkrise, das Waldsterben und Wirtschaftskrisen, auftraten, bewiesen.
Wenn ich vor einigen Jahren den Begriff „Mobilität“ hörte, dachte ich an das Auto. Heute denke ich an mein iPhone oder iPad. Hat sich der Begriff bereits von der tatsächlichen Fortbewegung auf die Mitnahme von Daten und die ständige Erreichbarkeit verschoben?
Ja. Natürlich waren Informationen schon vor der digitalen Revolution mobil, aber die elektronischen Mails und sozialen Medien bedeuten einen Quantensprung der Beschleunigung. Diese technische Revolution hat aber nicht massenhaft die Arbeitsplätze in den Unternehmen und Institutionen in ein Home-Office verwandelt. Also bleibt die „traditionelle“ Mobilität vorhanden.
Zudem wollen wir – so lange die virtuelle 3D-Technologie noch nicht massiv ausgebaut ist – besondere Orte oder Landschaften tatsächlich und echt bereisen. Ich nehme deshalb an, dass die traditionelle Mobilität noch lange bestehen bleibt und damit auch die traditionellen Mobilitätsprobleme. Schließlich ist auch Migration eine Form der Mobilität. Die Weltlage 2016 verdeutlicht also die Aktualität des herkömmlichen Unterwegs-Seins.
Gibt es in der ästhetischen Entwicklung betrachtet Parallelen zwischen dem Design von Smartphones und dem des Autos?
Das Design von Smartphones, also das Grafikdesign und die Ergonomie der Tast- oder Wischfunktionen, beeinflusst seit etwa 15 Jahren das Cockpitdesign der Autos. Der Einfluss wird sicherlich nochmals wachsen. Es ist für mich erstaunlich, wie spät dieser Einfluss wirksam wurde, nachdem Computer seit dem Ende der 1980er-Jahre unsere Wohnungen zu bevölkern begann. Lange Zeit wurden minimale Computerfunktionen ins traditionelle Cockpit integriert. In den vergangenen Jahren, vor allem mit dem Beispiel des Tesla Model S, richtet sich das Design des Armaturenbretts neu nach dem Tablet-Screen aus. Es hat eine kleine kopernikanische Wende stattgefunden. Ich nehme an, dass dieses futuristische Design mittelfristig auch auf das Außendesign abfärbt. Erste Beispiele gibt es bereits. Interessant ist ja, dass es beim Smartphone-Design nicht nur ums Grafikdesign, sondern auch um die Gestaltung und Materialauswahl der Schale und der Hülle geht. Gerade im zweiten Bereich kann die Werthaftigkeit des Objekts inszeniert werden.
Was bedeutet es für die Gestaltung und die Wahrnehmung von Autos, wenn Computerfirmen wie Apple und Google in den Markt einsteigen?
Ich nehme an, dass etwas Ähnliches wie beim Design der ersten Hybridfahrzeuge passiert. Der Toyota Prius äußert seit jeher seine technische Andersartig- beziehungsweise Fortschrittlichkeit in einem sehr futuristischen Design und hebt sich so von den Fahrzeugen mit konventionellem Antrieb ab. Beim Einstieg von Apple oder Google in den Automobilmarkt kann ich mir eine noch radikalere Ästhetik im Sinne einer Abgrenzung vorstellen. Je nach Markterfolg werden die herkömmlichen Unternehmen rasch diesen Designtrend imitieren.
Apple und Google betrachten Autos offenbar als Verlängerung des Smartphones. Bleibt bei dieser Konzentration auf die reine Funktion nicht unweigerlich das Emotionale auf der Strecke?
Das Design der Smartphones ist alles andere als rein funktionell. Natürlich sollte es nicht durch eine extravagante Form dysfunktional sein. Aber formale Aspekte, wie zum Beispiel die Materialauswahl, die Gestaltung der Kanten und der Rückseite und das Grafikdesign lassen einen großen Spielraum für ästhetische Belange. Insofern ist darin auch viel Emotionales im Spiel.
Das Axiom „Form follows function“ wird oft so gedeutet, dass funktionelles Design überhaupt keinen ästhetischen Gestaltungsfreiraum mehr gewährt. Das ist überhaupt nicht so. Auch heute gibt es viele – und oft nicht schlechte – Objekte, die eher nach der Maxime „Function follows form“ gestaltet sind. Solange ein Gegenstand nicht offensichtlich dysfunktional ist, kann er eben mit seiner Ästhetik punkten.
Apples Erfolge sind eng verbunden mit der emotionalen Bindung an die Marke. Kann dies nahtlos auf ein Auto übertragen werden?
Ich glaube, es braucht viel Engagement und Sorgfalt für eine gute erste Modellgeneration, um das „Apple-Feeling“ authentisch zu transportieren. Wenn der Start so gelingt, habe ich keine Bedenken. Das Beispiel von Mini belegt dies.
Beschleunigen intelligente Autos das Ende des Individualverkehrs?
Das ist schwer abzusehen. Die traditionelle Automobilindustrie hat sehr stark auf das moderne Konzept einer liberalen Konsumkultur gebaut, in der der Kauf eines Gebrauchsgegenstands die persönliche Identität mitkonstruiert. Auf dieses Verkaufs- und Erfolgsprinzip will sie wohl nicht freiwillig verzichten. Zudem sind wir Kunden innerhalb dieser Konsumkultur auf diese Form von Identitätskonstruktion sozialisiert. Uns müsste ein passendes Ersatzobjekt, das vergleichbare soziale und persönliche Funktion übernimmt, angeboten werden.
Ein Beispiel für die große Vertrauensseligkeit in Produkte mit traditionell gutem Ruf: Den Einfluss des Dieselskandals im Herbst 2015 auf die Verkaufszahlen konnte man im Halbjahresbericht 2016 der verschiedenen Länder studieren. Abgesehen von den USA gab es praktisch keinen Einbruch im Verkauf von VW-Produkten. Bei den involvierten Tochtermarken Audi, Skoda, Seat und Porsche ist überhaupt nichts Auffälliges feststellbar. Dies bestätigt, wie sehr der Mensch die Gewohnheit liebt. So schnell sehe ich deshalb das Ende des Individualverkehrs noch nicht kommen.
Zukunft iCar?
Sollte das Apple Car zwangsläufig ein autonom fahrendes Fahrzeug sein?
Nein, aber es sollte diese Möglichkeit beinhalten.
Viele Menschen möchten nicht einmal die Gangschaltung zugunsten einer Automatik aufgeben. Schwer vorstellbar, dass sich dieselben Menschen bald in ein iCar setzen, das vollautomatisch fährt.
Meine bisher einmalige „Fahrerfahrung“ mit einem Elektromobil, einem Renault Zoe, war eindrücklich. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Fahrerlebnis eines elektrischen Mobils es in jedem Fall mit einem konventionellen Auto mit Gangschaltung aufnehmen, ja es übertreffen kann. Dieses Erlebnis der Fahraktivität verschwindet aber mit dem vollautomatisierten Fahren.
Allerdings müssen wir uns bewusst sein, dass wahrscheinlich nur ein kleinerer Teil der gefahrenen Strecken tatsächlich auch mit einem dynamischen, aktiven Fahrerlebnis einhergeht. Das heißt, wenn man die Wahl hat (und diese wird in einem elektrischen Mobil technisch eher umsetzbar sein), könnte eine duale Lösung ideal sein: Das Auto fährt selbständig durch den dichten Stadtverkehr und auf der Autobahn mit Geschwindigkeitsbegrenzung; über Land kann der Fahrende das Steuer in die Hand nehmen, das Gaspedal selbst drücken und aktiv Energie rekuperieren.
Was wünschen Sie sich vom iCar?
Eine waghalsige Vorstellung von mir: Das iCar ist Büroraum. Ein Unternehmen braucht nicht ein eigenes großes Gebäude, sondern der Parkplatz ist gleichsam eine große Dockingstation. So könnte man die wertvollen Ressourcen, die für die Automobilproduktion benötigt werden, besser nutzen.
Alle bisherigen im Netz existierenden Entwürfe neigen zu einem futuristischem, sehr zweckmäßigem Äußeren …
Ehrlich gesagt überzeugt mich keiner richtig. Mir fehlt die ästhetische Sorgfalt und Werthaftigkeit, die ich bei Apple-Produkten schätze. Ich denke, dies müsste unbedingt besser zum Ausdruck kommen. Wie schon erwähnt, sind auch in einem futuristischen, funktionellen Design die Gestaltungsmöglichkeiten riesig.
Durch das „autonome Fahren“ entstehen auch ganz neue ethische Probleme. Stellen wir uns vor, von der linken Seite der Straße läuft eine alte Dame mit ihrem Gehwagen vor ein intelligentes Auto. Von rechts ein junger Mensch, der noch zur Stütze der Gesellschaft reifen soll. Zum Bremsen ist es zu spät. Wie soll das iCar entscheiden?
Das Beispiel illustriert ein moralisches Dilemma, wie es viele gibt. Moralische Dilemmata werden je nach Position innerhalb der Ethik unterschiedlich beantwortet. Das Problem in diesem Fall ist, dass die individuelle Entscheidung einer Person mit moralischem Urteilsvermögen zugunsten eines Rechners aufgehoben wird. Das jeweilige Unternehmen konstruiert also ein Programm, das zum Beispiel nach utilitaristischem Kalkül blitzschnell entscheidet – wenn es denn die Situation richtig einzuschätzen und zu deuten vermag.
Nochmals: Das Dilemma ist sehr komplex. Ich sehe keine einfache Lösung, sondern den Beginn einer Entwicklung mit „Trial and Error“, eng gekoppelt an eine juristische und ethische „Begleitung“ der Programmierung und der leider nicht vermeidbaren Unfälle.
Das iCar liefert Apple auch datensensitive Informationen, also etwa Bewegungs- und Aufenthaltsprofile. Wie empfinden Sie diese Entwicklung hin zum „gläsernen Fahrer“?
Die aktuellen Entwicklungen geben tatsächlich zu Diskussionen Anlass. Allerdings müssen wir uns bewusst sein, dass wir uns bereits auf dem fahrenden Zug einer technikaffinen Fortschrittsgesellschaft befinden. Ein plötzlicher Ausstieg ist wohl kaum realistisch und wäre ein radikaler Schritt. „Gläsern“ ist heute schon ganz vieles an uns.
Es geht vielmehr darum, einen sinnvollen Umgang mit den technischen Möglichkeiten zu finden. Ein Beispiel: Den Wecker nutzen wir, um pünktlich am Morgen aufzuwachen. Er beeinträchtigt unsere natürliche „innere Uhr“. Daran haben wir uns längst gewöhnt. Kaum jemanden beunruhigt dies. Ich denke, dass sich das „gläserne Fahren“ ähnlich entwickeln wird.
Im April haben sich in Berlin auf Einladung Apples 20 Experten getroffen, um die Zukunft des Automobils zu diskutieren. Waren Sie eigentlich dabei?
Nein. Ich habe im Anschluss an die Publikation meiner Doktorarbeit zum Automobildesign gemerkt, dass das Interesse von Feuilletonseite aus recht groß war – die Automobilindustrie hat hingegen nie Kontakt aufgenommen. Ich nehme an, dass für sie eine ästhetische, kulturphilosophische Perspektive auf ihre Produkte nicht erstrebenswert scheint.
Was hätten Sie auf diesem Event gern loswerden wollen?
Das Bewusstsein um die Obsoleszenz, also Verschwendung. Der Fortschritt gerade in den digitalen und kommunikativen Technologien bedingt, dass die Produkte rasch altern. Ein Automobil verbraucht sehr viele Ressourcen. Es ist unverantwortbar, wenn man ein Produkt nur fünf Jahre lang benutzen kann, weil es danach veraltet ist oder Verschleißerscheinungen auftauchen. Schon beim Laptop ist dies störend. Man muss also unbedingt eine gute Lösung finden, um dies bei einem Apple-Car zu vermeiden – oder zumindest ein umfassendes Rezyklieren möglich machen.
Das Automobildesign als lohnenswertes Objekt einer philosophischen Analyse? Mit dem Ansatz einer praktischen Ästhetik gelingt es Niklaus Schefer, die Designentwicklung mit den kunstgeschichtlichen Strömungen der Moderne, Postmoderne und Neomoderne zu verbinden. Verlag Wilhelm Fink, 234 Seiten, ISBN: 978-3-7705-4640-4, Preis: 14,90 Euro
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