Auch beim Phone 2 ist der erste Impuls der des Gedankens eines „Besser gut kopiert als schlecht erfunden“. Doch damit wird niemand der Hard- als auch der Software gerecht. Sich von Apple inspirieren zu lassen, ist zum einen sicherlich nicht die schlechteste Idee, zum anderen steckt auch genug an eigenem Hirnschmalz im neuen Nothing Phone 2, um sich mit diesem deutlich von anderen Smartphones abzusetzen.
Design „inspired by Cupertino“
Das Phone 2 legt Wert auf stilvolles, elegantes Design, welches sich sehr nach einem iPhone anfühlt. Die transparente Rückseite besteht aus kratzresistentem „Gorilla Glass 5“, welches zu den Rändern sanft gewölbt ist. Im Zusammenspiel mit dem Mittelrahmen aus Aluminium erfährt das Gerät eine hohe gefühlte Wertigkeit – ein Eindruck, der dank schmalerer Ränder und größerem und hellem Bildschirm mit 6,7-Zoll-Diagonale nochmals verstärkt wird. Dass die „Lochung“ für die Frontkamera nun mittig sitzt, ist ob der damit einhergehenden Symmetrie ein weiterer Punkt, der das Nothing-Design schlicht noch runder macht.
Leistungswerte? Obere Mittelklasse.
Auch technisch überzeugt das Phone 2. Ausgestattet ist es mit dem Snapdragon-8-Plus-Gen-1-Chip von Qualcomm, in Bezug auf die Leistung etwas schwächer als der A15 Bionic von Apple. Nothing selbst gibt die Leistungssteigerung gegenüber dem Phone 1 mit 80 Prozent an. Der Benchmark Geekbench (Multi-Core-Ergebnis) bestätigt den Leistungszuwachs – das Phone 1 kommt hier auf 2607 Punkte, das Phone 2 auf 3881 Punkte. Zum Vergleich: Das iPhone SE der 2. Generation aus dem Jahr 2020 erzielt einen Wert von 2623 Punkten. Wichtiger jedoch: im direkten Vergleich mit dem Vorgänger fühlt sich das Phone 2 zackiger an. Und vor allem da, wo es auf Leistung ankommt, anspruchsvollere Spiele etwa bremst das Phone 2 nicht länger aus, auch wenn der Abstand auf die Apple-Mittelklasse deutlich ist. Hier leistet das aktuelle Apple-Einstiegsmodell das Doppelte.
In Bezug auf die Speicherausstattung ist Nothing großzügiger als bei der Rechenleistung der Fall, es besteht die Wahl zwischen Modellen mit 128, 256 und 512 GB – die Menge an Arbeitsspeicher variiert je nach Variante zwischen 8 und 12 GB RAM.
Die Hosentaschen-Lightshow
Bereits beim Phone 1 waren die „Glyph“ genannten LED-Elemente auf dessen Rückseite ein Hingucker und Alleinstellungsmerkmal. In der zweiten Gerätegeneration ist das schicke Leuchtfeuer deutlich aufgewertet, 33 Segmente lassen sich im Phone 2 individuell ansprechen. Eigene Leuchtmuster zur Visualisierung etwa von Anrufen ausgewählter Kontakte sind nur eine Anwendungsmöglichkeit, denn die LEDs formen sich auf Wunsch auch in einen Timer, eine Anzeige des Akkustands oder in ein Ringlicht beim Filmen und Fotografieren. Wer Apps entwickelt, soll über eine Programmierschnittstelle Zugriff auf die Glyph-Oberfläche erhalten – fraglich ist, wie viele Apps künftig von dieser Funktion dann auch Gebrauch machen.
Ebenso auf Befriedigung des Technik-Spieltriebs zahlt der neue „Glyph-Composer“ ein. Hier lassen sich eigene Klingeltöne aus vorgefertigten Sounds „komponieren“, die zugleich die LEDs ansprechen. Das ist eine spaßige Spielerei, in der sich die Zusammenarbeit von Nothing mit den Menschen hinter den Hipster-Musikinstrumenten von Teenage Engineering und den Musikern von Swedish House Mafia materialisiert. Neu sind zudem die sogenannten „Essential Glyph Notifications“. Sie nehmen einen Aspekt des neuen Betriebssystems hinweg: die Reduktion auf das Wesentliche. Im Apple-Sprech handelt es sich dabei um eine Art Fokus, in der nur gewünschte Kontakte und Apps mit einer Nachricht durchkommen.
Die nicht Nicht-Kamera
Die Kamera des Nothing Phone 2 erfüllt Ansprüche auf dem Niveau einer guten, aber nicht überragenden Kompaktkamera. Die beworbene Auflösung von 50 MP ist unter Marketing-Schaumschlägerei zu verbuchen, die Aufnahmen sind nicht besser als die eines iPhone, aber in vielen Situationen auch nicht schlechter. Wichtig ist: auch unter schwierigen Lichtverhältnissen sind die Aufnahmen des Phone 2 oft brauchbar. Die hochauflösende 32-MP-Frontkamera sticht nochmals heraus, hochauflösende Fotos von sich selbst dürfte primär die Generation „Selfie“ ansprechen. Aus dem Ärmel schüttelt das Phone 2 dann auch noch Video mit den inzwischen üblichen 4K60 und einer mittelmäßigen Bildstabilisierung.
Die Akkuleistung des Nothing Phone 2 bringt einen gut über den Tag, genauere Werte aus der Praxis liefern wir nach. Mit einer Kapazität von 4.700 mAh bietet das Gerät genügend Energie für einen Tag regelmäßiger Nutzung. Sollte der Akku doch einmal zur Neige gehen, ist er in 55 Minuten wieder vollständig aufgeladen. Neben dem Schnellladen via USB-C ist auch das Betanken via Qi mit bis zu 15 W möglich. Außerdem unterstützt das Phone 2 abermals Reverse Charging, etwa zum Aufladen von In-Ears in einer Ai-Ladehülle.
Schicke Schale, softer Kern
Nothing OS 2.0, aktuell basierend auf Android 13, wird auch für den Vorgänger veröffentlicht. Das stärkt das Vertrauen in die Marke: Wer bereits ein Phone 1 besitzt, hat keine Eintagsfliege gekauft. Das Unternehmen verspricht drei Jahre nach Veröffentlichung die Versorgung mit vollen Systemupdates, ein weiteres Jahr sollen Sicherheitsaktualisierungen bereitgestellt werden.
Neu in Nothing OS 2.0 als Android-Überbau ist die nochmals reduzierte Designsprache. Hier gefällt, dass die Bedienoberfläche in keiner Weise in bunten Farben „schreit“: Weiß, Schwarz, Grau – und als Akzent: Rot. Selbst auf der Ebene von Icons der Apps Dritter ist die Palette auf das Monochrome reduziert. Das steht im Gegensatz zur Optik von iOS, bei der sich viele Icons anfühlen wie kleine Werbeplakate. Farbe hat Wiedererkennungswert, aber der reduzierte Einsatz dieses Reizes wirkt angenehm sachlich und strukturierter als das bunte Durcheinander andernorts – wir fühlten uns oft an die Schlichtheit des ikonischen Designs der Schweizer Bahnhofsuhr erinnert.
Ein weiterer Schwerpunkt von Nothing OS 2.0 liegt auf der Anpassung der Bedienoberfläche an die eigenen Wünsche. Hierzu bietet das Betriebssystem eine an iOS erinnernde Widget-Integration. Hier wird indes bereits der Sperrbildschirm zum Widget-Schaufenster – das Gefühl bei Nothing ist ein „Widgets sind die neuen Apps“. Zusammengefasst gefällt Nothing OS 2.0 durch seinen Fokus auf eine bewusstere und achtsame Smartphone-Interaktion.
Fazit
Selbst Steve Jobs zitierte bereits Picasso: „Gute Künstler kopieren, große Künstler stehlen.“ Doch würde ich mein iPhone gegen ein Phone 2 tauschen? Nein, sicherlich nicht. Dennoch überzeugen mich Hard- und Software in vielen Aspekten. Wer auf der Suche nach einem erschwinglichen Android-Smartphone ist, das in vielen Punkten die gleiche Sprache wie das iPhone spricht, wird hier fündig. Anders ausgedrückt: Würde Apple ein Android-Telefon bauen, es sähe ganz ähnlich aus wie das Phone 2. Und das ist im besten Sinne als Lob zu verstehen.
Wer das Nothing Phone 2 indes ganz nüchtern als lediglich ein weiteres Smartphone betrachtet, sieht ein Gerät der gehobenen Mittelklasse zu einem fairen Preis. Dennoch sticht es aus der Masse an Neuheiten heraus – klar, die LED-Elemente auf der Rückseite sind zwar auch Spielerei, aber auch ein ikonisches Designelement, das in seiner zweiten Iteration an Nutzwert hinzugewonnen hat. Über die Unsitte, dass Smartphone-Hersteller statt eines möglichst „naturbelassenen“ Android-Systems oft hochgradig modifizierte Software einsetzen, lässt sich streiten. Nothing geht mit Nothing OS 2.0 einen interessanten Mittelweg: statt das System künstlich aufzublasen, gibt sich das Phone 2 softwareseitig angenehm reduziert.
Der Verkaufsstart des Phone 2 ist am 15. Juli 2023. Wir haben eine Leihstellung vorab erhalten, eine Einflussnahme des Herstellers oder dessen PR-Agentur fand nicht statt, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung eines Beitrags gab es nicht.
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