Gute iPad-Software zeichnet sich durch clevere Bedienkonzepte aus, welche die Eigenheiten von Multi-Touch und Stiftbedienung sinnvoll zu integrieren wissen. Das zeigt sich etwa auf dem Weg von der Idee zum fertigen Song in Logic Pro für iPad. Bereits beim Anlegen eines ersten Projekts beweist sich die iPad-Ausgabe von Logic durch ihre anpassungsfähige Benutzeroberfläche. Die iPad-Version ist nicht nur ein Sequenzer, sondern zugleich ein Instrument: Softwarebasierte Instrumente lassen sich direkt mit einer Bildschirmklaviatur, mit Drum-Pads oder per virtuellem Griffbrett spielen. Dabei wissen die Entwickler um die Einschränkungen eines Tablets: Ganze Akkorde lassen sich mitunter auf nur einen Fingerzeig hin spielen, statt sich mit krummer Fingergymnastik auf dem Bildschirm zum Affen zu machen.
Wichtig ist auch die Navigation in einem Projekt. Neben einer Loop-basierten Ansicht bietet Logic Pro auch auf dem iPad die klassische horizontale Zeitleiste in Anlehnung am Mehrspur-Tonbandgeräte – je länger der Song, desto länger die Zeitleiste. Das Navigieren selbst in größeren Projekten geht dennoch schnell und intuitiv von der Hand: Mit den bekannten Spreizgesten lässt sich schnell in einem Song an die gewünschte Stelle wechseln und der Zoomfaktor einstellen. Dies fühlt sich wesentlich direkter an als die Bedienung via Tastatur und Maus am Mac (und lässt einmal mehr den Wunsch nach einem Mac mit Touchscreen aufkommen).
Auch dass Musikproduktion Bildschirmplatz-intensiv ist, ist den Entwickelnden bei Apple klar. Um einen zweiten Bildschirm jenseits einer Spiegelung lässt sich Logic Pro für das iPad zwar nicht erweitern, aber im Wissen um die knappe Ressource „Bildschirmplatz“ wurde Hirnschmalz aufgewandt: Die Plug-in-Ansicht stellt die wichtigsten Steuerelemente zur Verfügung, die zur Formung von Sounds beitragen. Jedes Plug-in in einem Kanalzug bietet Zugriff auf handverlesene Parameter, welche die jeweiligen Instrumente oder Effekte im Kern definieren. Auf ähnliche Weise lassen sich Editoren wie die Pianorolle und der Mischer einblenden.
Beats & Bytes
Logic Pro kommt auch auf dem iPad mit einer riesigen Soundbibliothek daher. Musikerinnen und Musiker haben so ohne weitere Kosten eine Vielzahl an lizenzfreien Klängen zur Verfügung. Nach der Installation der App lassen sich die Soundpakete direkt in der App herunterladen. Apple verspricht laufenden Nachschub; schon jetzt deckt die Auswahl an Loops, Samples und Patches viele Genres ab.
In Zahlen klingt das beeindruckender: Die Soundbibliothek „wiegt“ mehr als 6.300 Samples von Drums, Vocals und Soundeffekten sowie 4.800 Instrumenten- und Effekt-Patches und über 9.000 Loops in unterschiedlichen Stilen. Um aus der Palette an Klängen zielgerichtet den „einen“ Sound zu finden, bietet die App einen Browser an – hier finden sich alle Klänge an einem Ort, einschließlich Instrumenten-Patches, Loops, Audio-Samples, Plug-in-Presets und Step-Sequenzer-Muster. Ein durchdachtes Filtersystem hilft beim Aufspüren des perfekten Sounds, die sich auch gleich im Browser anspielen lassen.
Das Schlafzimmer als Studio
Als vollwertige DAW versteht sich Logic Pro auch auf dem iPad auf den Umgang mit Audiospuren. Die lassen sich direkt auf Spuren laden, aber auch selbst aufnehmen. Die Qualität der in unser Test-iPad-Pro integrierten Mikrofone ist zumindest so gut, dass sich erste Ideen festhalten lassen.
Vocals- oder Instrumentenaufnahmen können zudem via kompatiblen externem Equipment aufgenommen werden – im Test funktionierte das mit einem Focusrite Scarlett 4i4 ohne Probleme. Dabei bietet die App Komfortfunktionen wie die Multi-Take-Aufnahme, mit der sich auf der Suche nach dem besten Take gleich mehrere Durchläufe aufnehmen lassen. Auch MIDI-Hardware integriert sich in die iPad-Version; ausprobiert haben wir das unter anderem mit dem kompakten Keyboard M32 von Native Instruments. Wer ein Magic Keyboard am iPad Pro nutzt, kann mithilfe von dessen USB-C-Buchse das Tablet laden, während die Buchse am iPad selbst für Peripherie frei bleibt. Zeitgleich ein Audiointerface sowie ein Keyboard zu betreiben, scheiterte im Test am verwendeten USB-Hub, ist prinzipiell aber ebenfalls möglich.
Apple MPC 60
Elektronisch produzierte Musik lebt vom Beat – dem trägt Logic Pro nicht nur durch „Live Loops“ Rechnung – vorgefertigte Audio-Schnipsel, die sich wie ein Instrument spielen lassen. Das Beatmaking wird mit einer Reihe an Funktionen erleichtert, primär in Form dedizierter Instrumente und Effekt-Plug-ins. Die Quick-Sampler-Funktion ist ein hilfreiches Werkzeug, das die Verarbeitung von Audiosamples und Loops zu neuen spielbaren Instrumenten vereinfacht. Ein eigenes Drum-Kit lässt sich mit dem integrierten „Drum Machine Designer“ erstellen – einfach Samples und spezielle Plug-ins auf die Drumpads ziehen und fertig. Weiterhin findet sich eine ganze Reihe an Plug-ins, die interessante Beats und deren Variationen gewissermaßen auf einen Fingerzeig hin mit wenig Aufwand erstellen: Mit Remix FX lassen sich DJ-artige Effekte und Übergänge hinzufügen, das Beat-Breaker-Plug-in schüttelt Stutter-Effekte dort aus dem Ärmel, wo einstmals komplexe Nachbearbeitung gefordert war, und der Step-Sequenzer lässt die Zeiten der Lauflichtprogrammierung von TR-808 und TR-909 wieder aufleben.
Effekte satt
Effekt-Plug-ins sind grundlegender Bestandteil der modernen Musikproduktion und ein unverzichtbares Werkzeug. Auch auf dem iPad fährt Logic Pro eine umfangreiche Sammlung von kreativen und produktiven Effekt-Plug-ins auf. Darunter finden sich Studiostandards für Hallerzeugung und die Bearbeitung der Dynamik, Equalizer, aber auch Spezialisten wie Step FX zum Hinzufügen rhythmischer Bewegung im Klang. Neben Audioeffekten bietet Logic Pro auf dem iPad auch MIDI-Plug-ins an, darunter einen Arpeggiator, mit dem sich auf das Drücken nur weniger Tasten ganze Klangwelten erschaffen lassen.
Die Mischung macht’s
Die nächste Station auf dem Weg von der Idee zum fertigen Song ist im Tonstudio ebenso wie in Logic Pro das Mischpult. Die iPad-Version kommt mit einem vollausgestatteten Mixer. Hier lässt sich nicht nur der Pegel der einzelnen Spuren einstellen, sondern auch deren Panorama-Position. Sogar Busse lassen sich anlegen, um mehrere Spuren zusammenzufassen und mit den gleichen Effekten zu bearbeiten – etwas, das Garage Band nicht kann. Überdies lassen sich mit den sogenannten Track Stacks mehrere verwandte Spuren zu einer einzigen zusammenfassen oder auch Untergruppenmixe erstellen.
Wie auf dem Mac, ist das Mischen nicht nur auf das Bildschirmmischpult beschränkt, auch die Möglichkeit und das Nutzen weitreichender Automation ist Teil einer Abmischung. Dabei lassen sich nicht nur unmittelbare Kanalzugparameter automatisieren, sondern zudem viele andere Aspekte wie die Klangfarbe eines Software-Synthesizers.
Mac adé?
Logic Pro für iPad kommt mit einer beeindruckenden Auswahl an Instrumenten, Effekten und Funktionen daher und ist über weite Teile auf Augenhöhe mit der Mac-Version. Dennoch ist Logic Pro für das iPad primär eine iPad-Anwendung – heißt: Wer sowohl am Mac als auch am iPad wechselweise an einem Projekt arbeiten möchte, orientiert sich an der Ausstattung der iPad-Version als kleinsten gemeinsamen Nenner.
Das größte Problem in der Praxis: Zwar unterstützt auch die iPad-Version Plug-ins in Form von Audio-Unit-Erweiterungen, doch nur wenige der großen Anbieter unterstützen iPadOS respektive iOS als Plattform. Wer die eigene Sammlung an Waves-Plug-ins oder Software-Instrumente wie Omnisphere oder Hive verwenden will, findet diese bislang schlicht nicht im App Store. Wir sehen auch keinen gangbaren Weg, wie der eigene Plug-in-Park vom Mac je seinen Weg auf das iPad finden könnte: Der überwiegende Teil der für den Mac erhältlichen AudioUnits stammt nicht aus dem App Store. Und genau der mag das Problem sein: Bislang verkaufen sich AudioUnits am App Store und damit an Apples 30-Prozent-Beteiligung vorbei.
Wichtig ist: Am iPad erstellte Projekte lassen sich ohne Probleme in der Mac-Version öffnen und bearbeiten. Wer Logic vom Mac kennt, findet sich sofort zurecht und wird die iPad-App als mehr als nur einen musikalischen Notizblock schätzen – was hier als App daherkommt, verwandelt das iPad in ein ausgewachsenes Tonstudio! Wer neu einsteigt, dem sei versichert, dass Logic Pro auch auf dem iPad bereits in „Werkausstattung“ alles beinhaltet, um so ziemlich jede Idee in einen Song zu verwandeln. Da hilft es, dass Logic Pro für das iPad ein niedrigschwelliges Angebot ist: Grundlegendes Interesse an Musik ist bereits ausreichend, um erste Schritte zu gehen. Dank integrierter Unterrichtsstunden fällt das Erlernen verschiedener Aspekte der Musikproduktion, einschließlich Beat-Erstellung, Aufnahmebearbeitung und Nutzung von Plug-ins, leicht.
Die Bedienung am Bildschirm gefällt – vieles geht am iPad sogar schneller von der Hand als an einem Mac. Dort, wo eine Maus fehlen könnte, gibt es eine Apple-Pencil-Integration. Mit dem Stift lassen sich detaillierte Automationen zeichnen und taktgenaue Bearbeitungen durchführen. Mit Magic Keyboard, Smart Keyboard Folio oder einer einfachen Bluetooth-Tastatur kannst du darüber hinaus Tastaturbefehle verwenden.
Viele Aspekte eines Tonstudios sind schon längst in Software realisiert. Doch echte Tasten, Drehregler und natürlich Mikrofone und Audiointerfaces sind und bleiben Hardware. Zwar taugen auch die in das iPad integrierten Mikrofone zum Festhalten von Ideen in Gesang und Instrument – doch was Apple als „Studioqualität“ bezeichnet, ist natürlich Wortakrobatik von Marketingmenschen. Peripherie lässt sich, je nach iPad, via Thunderbolt respektive USB-C anschließen und nutzen. Ausprobiert haben wir das mit dem Scarlett 4i4, einem Audiointerface von Focusrite, und dem M32 sowie Kontrol 61 von Native Instruments – letztere beide MIDI-Keyboards.
Synthesizer und Sampler waren einst verdammt teure „Klangmöbel“, die zudem bergeweise Kabelsalat verursachten. Einer der faszinierendsten Aspekte moderner DAW-Software ist daher deren Phalanx an zu Software gewordenen Klangerzeugern. Unsere Highlights:
ES2: Der „Emagic Synthesizer 2“ hat schon mehr als zwei Jahrzehnte auf dem Buckel, bewährt sich aber noch immer als „Brot und Butter“-Synth. Klassische Analog-Sounds lassen sich ihm ebenso entlocken wie moderne digitale Klänge. Die drei Oszillatoren kommen mit Wavetables, zwei Multimode-Filter sind ebenso integriert wie eine ganze Reihe von Modulationsoptionen.
Alchemy: Dieser Synthesizer setzt auf die Transformation von Klängen und bietet deren Modulation durch Morphing- und Resynthese-Funktionen an. Hier kannst du Samples und Synthese auf spannende Art miteinander verbinden.
Sample Alchemy: Neu dabei in Logic Pro für iPad ist Sample Alchemy. Basierend auf Alchemy versteht sich dieses Instrument als Werkzeug zum Erschaffen neuer und ungehörter Klänge – einfach drauflos sampeln, um aus Alltagsgeräuschen neue Sounds zu erschaffen.
Retro Synths: Eine Sammlung an Vintage-Synthesizer-Klängen, ein Tribut an die elektronischen Sounds aus den 1970er- und 1980er-Jahren.
Vintage Keyboards: Auch Fans der Hammond-B3-Orgel, des Mellotron, des Hohner Clavinet D6 sowie eines Fender Rhodes und der Wurlitzer kommen auf ihre Kosten – Logic Pro integriert originalgetreue Nachbildungen dieser Klassiker.
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Sehr informativer Artikel. Gern würde ich dazu ein ausführliches Special lesen!
Hab Dank! :-) Ich versuche mal, hier eine Doppelseite „Logic Pro für iPad“-Tipps durchzuboxen und bleibe natürlich am Thema dran.