Pünktlich zum Vorverkaufsstart der Apple Watch konnten auch wir von der Mac Life endlich ausgiebig die verschiedenen Apple-Watch-Modelle ausprobieren. Dabei ist klar geworden, wie „anders“ das Produkt für Apple ist, dass es deutliche Parallelen zum iPhone gibt und, dass man sie tatsächlich ausprobiert haben muss, um ihr endgültig zu verfallen.
Die Apple Watch ist definitiv kein klassisches Produkt. Für gewöhnlich schaut Apple sich Märkte an, deren Produkte schlechter sind, als Apple es für nötig hält. Apple vermarktet die Apple Watch jedoch zuerst als Uhr („timepiece“) – und in diesem Bereich mangelt es nun wirklich nicht an erstklassigen Produkten. Treffend hat es Jony Ive in einem Interview mit der Financial Times formuliert:
It was different with the phone — all of us working on the first iPhone were driven by an absolute disdain for the cell phones we were using at the time. That’s not the case here. We’re a group of people who love our watches. So we’re working on something, yet have a high regard for what currently exists. --- Jony Ive
Die Ansage ist klar: Als man bei Apple am iPhone gearbeitet hat, war allen klar, dass alles in dem Markt existente Mist ist, was sich bei der Apple Watch ganz anders verhält. Hier hat man großen Respekt für aktuelle Produkte. Wenn man die Apple Watch nur in Konkurrenz zu anderen Smartwatches sieht, sieht das sicherlich schon wieder ganz anders aus. Aber genau das tut Apple eben nicht. Somit ist allein schon der Markteinstieg Apples ein nicht zu unterschätzendes Kuriosum.
3 in 1
Wenn wir schon bei Vergleichen mit dem iPhone sind: In Vorbereitung auf den heutigen Apple-Watch-Tag habe ich mir noch einmal die verschiedenen Auftritte von Tim Cook seit der Präsentation der Apple Watch im vergangenen Herbst zu Gemüte geführt. Wenn man diese Videos komprimiert und nicht mit mehreren Wochen oder gar Monaten Abstand dazwischen betrachtet wird klar, dass es eine signifikante Parallele zwischen der Vermarktung des ersten iPhones und der Vermarktung der Apple Watch gibt. Beide werden als „3 in 1“-Produkt beworben.
Während der inzwischen legendären Enthüllung des iPhones bei einem der ohne Zweifel besten Auftritte aller Zeiten von Steve Jobs, erklärte er, dass Apple drei neue Geräte präsentieren wolle. Einen Breitbild-iPod mit Touch-Bedienung, ein revolutionäres Mobiltelefon und ein völlig neuartiges Internet-Kommunikations-Gerät. Erst im zweiten Schritt wurde klar, dass es sich dabei um die drei Kernfunktionen eines neuen Geräts, des iPhones, handeln würde.
Ganz ähnlich verhält es sich bei der Apple Watch. Tim Cook hat die Apple Watch zunächst als großartige Uhr, dann als revolutionäre Möglichkeit, mit anderen in Verbindung zu bleiben und als einen umfassenden Gesundheits- und Fitness-Begleiter angepriesen.
Natürlich konnte selbst das erste iPhone wesentlich mehr. Und auch die Apple Watch ist nicht nur auf diese Funktionen beschränkt. In beiden Fällen hat sich Apple aber drei fundamentale Funktionen herausgepickt, um das jeweils neue Produkt zu bewerben. Dieses Vorgehen hat mehrere Vorteile: Das neue Produkt ist in drei leicht verständlichen Schlagworten erklärt und potenzielle Käufer wissen sofort, womit sie es im Kern zu tun haben. Gleichzeitig gibt Apple damit aber auch an, worauf es bei dem neuen Produkt primär ankommt. Diese drei Funktionen sind es, bei denen Apple nichts als Exzellenz abliefern darf, damit das Produkt nicht durchfällt. Alle anderen Funktionen sind lediglich ein Bonus und runden das Produkt ab.
Look & Feel
Der Eindruck, den man mit dem ersten Anfassen von der Apple Watch erhält, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Beeindruckend. Meines Erachtens ist es das erste Apple-Produkt, dass sich schon in „Version 1“ derart perfekt anfühlt. Die gesamte Uhr wirkt wie aus einem Guss, alles wirkt extrem wertig – so sehr, dass man am liebsten – um Steve Jobs zu zitieren – daran lecken möchte.
Der Taster an der Seite der Uhr lässt sich noch deutlich weicher drücken als der am aktuellen iPhone. Trotzdem bekommt man genug haptisches Feedback, um sofort zu merken, wann man eine Aktion ausgelöst hat – auch ohne auf den Bildschirm zu schauen. Die „Digital Crown“ lässt sich sehr leichtgängig drehen und hat gerade genug Widerstand, dass man überhaupt merkt, dass sie sich zwischen den eigenen Fingern bewegt.
Das Display ist, wie man es inzwischen von Apple gewohnt ist, beeindruckend. Alles Dargestellte ist scharf, alle Animationen laufen flüssig darauf ab. Dies fällt besonders bei Ziffernblättern auf, die klassischen Blättern nachempfunden sind. Der Sekundenzeiger läuft ruckelfreier im Kreis als es bei einer mechanischen Uhr wohl jemals möglich wäre.
Armbänder
Eine doppelte Überraschung waren die Armbänder. Ich habe in der Vergangenheit mehrere Fitness-Tracker und Smartwatches getestet und eins der größten Mankos war stets das Armband - vor allem bei Schreibtischtätigkeiten. Hier hatten die meisten Armbänder die unschöne Angewohnheit, deutliche Druckstellen an der Unterseite der Handgelenke zu hinterlassen.
Das Gliederarmband der Apple Watch hingegen fühlt sich an der Hand deutlich weicher und sanfter an als es viele Plastikarmbänder anderer Hersteller tun. Natürlich muss das eine Täuschung sein. Dennoch ist der Tragekomfort definitiv höher als bei allen Smartwatches und Fitness-Trackern, die ich bislang ausprobiert habe.
Meinen Hut ziehen muss ich vor dem „Sport Band“, Apples Plastikarmband. Von Tag Eins der Präsentation der Apple Watch an gehörte ich zu der Fraktion derer, die gesagt haben, dass sie nie im Leben ein Plastikarmband zu einer Uhr tragen würden, für die sie gerade mehrere Hundert Euro ausgegeben haben. Apple hat das Plastikarmband auch nie als solches bezeichnet, sondern man sprach stets von „Fluroelastomer“. Marketingsprech, wie ich bis heute Morgen dachte. Die Armbänder, die bei jeder Uhr dabei sind (sogar bei der Apple Watch Edition), lassen sich unglaublich gut tragen und fühlen sich tatsächlich deutlich anders an als es die Plastikarmbänder von Laufuhren oder ähnlichen Produkten tun. Apples Standardarmbändern wurde in der Berichterstattung viel Unrecht getan. Nach einer ersten Anprobe werden vermutlich viele Menschen, wie auch ich, nochmal überlegen, ob sie das Armband tatsächlich „upgraden“ wollen.
Digital Crown, Force Touch und die Taptic Engine
Noch einmal zurück nach 2007. Steve Jobs steht auf der Bühne und leitet die Präsentation des iPhone ein. Er erklärt, dass jedes bahnbrechend neue Apple-Produkt immer mit einer neuen Eingabetechnologie einherging. Die Maus am Mac, das Clickwheel am iPod und eben das Touchdisplay beim iPhone.
Bei der Apple Watch bringt Apple gleich zwei neue Eingabetechnologien an den Start, die sich mit großer Sicherheit durchsetzen werden. Zum Einen ist da die Digital Crown. Grundsätzlich ist sie überflüssig, da die Uhr über ein Touchdisplay verfügt. Die Digital Crown macht die Bedienung der Apple Watch aber unendlich besser. Das Display der Uhr ist im Verhältnis zu den eigenen Fingern relativ klein. Wischt und tippt man auf der Uhr herum, verdeckt man automatisch einen Großteil der Bildfläche. Die Digital Crown ermöglicht einfache Bedienung und freie Sicht. Als jahrelanger iPhone-Benutzer tatscht man in den ersten Momentan natürlich auf dem Display herum. Wenn man sich aber erstmal zur Benutzung der Digital Crown gezwungen hat, fühlt es sich schnell völlig natürlich an.
Die nächste Eingabetechnologie, Force Touch, ist eng mit einer neuen Ausgabetechnologie, der Taptic Engine verbunden. Force Touch ermöglicht es durch stärkeres Drücken auf das Display andere Aktionen auszulösen als durch einfaches Antippen der Glasfläche. Für das passende haptische Feedback sorgt Apples neuer Vibrationsmotor, die Taptic Engine. Dieses Tandem findet sich auch im Trackpad des neuen MacBook und des neuen MacBook Pro 13 Zoll wieder und funktioniert dort in ganz ähnlicher Weise.
Die Taptic Engine als Ausgabemöglichkeit ist dabei jedoch deutlich wichtiger als Force Touch. Wer will schon, dass das Gerät am Handgelenk den ganzen Tag über ständig irgendwelche Geräusche von sich gibt, weil neue Nachrichten eingehen oder Benachrichtigungen angezeigt werden? Eine stille Form der Information scheint in den meisten Fällen angemessener. Ähnlich wie auch schon beim iPhone, das mindestens all jene, die sich ein Büro mit anderen Menschen teilen den Großteil des Tages über auf „Stumm“ mit aktiviertem Vibrationsalarm gestellt haben dürften.
Die Vibration, die die Taptic Engine am Handgelenk auslöst, ist dabei deutlich sanfter als der Vibrationsmotor im iPhone. Während das iPhone bei eingehenden Benachrichtigungen selbst im stummen Modus eher wie Ernie aus der Sesamstraße lacht, flüstert die Apple Watch eher wie Schlemihl „Psst! Hey du…“. Man bekommt die Vibration zwar mit, sie ist jedoch weit weniger aufdringlich als beim iPhone und unterbricht einen nicht so rabiat in dem was man gerade tut.
Was gibt es auszusetzen?
Ich bin wahrlich kein Uhrenträger. Das letzte Mal, dass ich eine Uhr regelmäßig trug war in der Grundschule – vor über 20 Jahren. Trotzdem habe ich an der Apple Watch nur wenig auszusetzen. Das liegt vor allem daran, dass sie deutlich leichter und geschmeidiger ist als sie in den Videos wirkt. Wenn ich aber partout zwei Negativpunkte nennen sollte, dann wären es diese: Das Gehäuse ist für meinen Geschmack etwas zu dick. Ich bin mir jedoch sicher, das man das bei Apple genau so sieht und dass die Zeit hier Abhilfe schaffen wird. Das aktuelle iPhone ist schließlich auch deutlich dünner als das erste Modell.
Zweitens ist die Uhr nicht wasserdicht. Mein sportliches Leben bestand zu beinahe jedem Zeitpunkt aus zwei Komponenten: Dem Handball (wo Schmuck ohnehin verboten ist) und dem Schwimmen. Als Fitness-Tracker scheidet die Apple Watch für mich somit aus. Denn dass die Apple Watch mich zum Laufen bringt, das kann ich mir wahrlich nicht vorstellen.
Zielgruppe: Wen will Apple erreichen?
Wenn die Apple Watch ein Erfolg werden soll, muss Apple ein irrer Spagat gelingen. Die Apple Watch muss Uhren-Fans genauso ansprechen wie Uhren-Muffel. Und alle Menschen, die sich irgendwo zwischen diesen Lagern einsortieren würden, müssen auch noch abgeholt werden. Das ist auch der Grund, weshalb Tim Cook gebetsmühlenartig wiederholt hat, dass es sich bei der Apple Watch um eine hervorragende Uhr halte.
Uhren-Muffel und Otto-Normal-Verbraucher lassen sich vermutlich durch den Mehrwert der Funktionen der Apple Watch einfangen. Uhren-Fans muss aber versichert werden, dass die Apple Watch ihren Ansprüchen genügt: Präzision und schnelle Zeitanzeige. Nach meinem ersten Test bin ich mir sicher, dass die Apple Watch ein Erfolg bei uhrlosen Menschen und solchen, die noch nie mehr als 100 Euro für eine Uhr bezahlt haben werden wird. Ob Apple es schafft, dass wahre Fans die mit einem fünfstelligen Preisschild versehene Breitling zu Gunsten einer Apple Watch im Schrank liegen lassen, wird sich zeigen.
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