Spätestens seit der Apple-Keynote und der Ankündigung von Home Kit ist es wieder in aller Munde: Das gute, alte vernetzte Heim. Alle Geräte sollen verbunden sein und online miteinander kommunizieren. Was noch vor Jahren als Stoff für einen Science-Fiction-Text durchging, soll jetzt Realität werden. Die Fenster schließen sich dank Elektromotor, sobald Tropfen auf den Regensensor fallen, die Heizung verbreitet gemütliche Wärme, wenn man das Haus betritt und spart Energie, wenn man nicht da ist.
Die Haustür öffnet sich per App und Touch-ID, das Licht schaltet sich an oder aus, wenn man einen Raum betritt oder verlässt. Der Kühlschrank überwacht seinen Inhalt und meldet abgelaufene Lebensmittel oder zur Neige gehende Vorräte. Die Waage meldet dem Heimtrainer, dass der Bewohner seine überflüssigen Pfunde am besten mit einem leicht verschärften Trainingsprogramm loswerden könnte. Sieht so die Zukunft aus? Ist das alles nützlich oder ist genau das jene schöne neue Welt, vor der man sich in besagten Science-Fiction-Romanen neben allem Erstaunen auch ein wenig gegruselt hat?
Ist es wirklich schlimm, wenn einen der Kühlschrank per freundlicher Mail daran erinnert, dass er mal wieder eine oder zwei Packungen Milch vertragen könnte, oder dass man diese Woche schon das halbe Glas Marmelade gefuttert hat? Das mag nützlich sein, geht aber schon ein wenig in die Richtung von Bevormundung. Es ist schon ab und an ganz schön, Dinge eben nicht vernünftig zu machen, statt der empfohlenen Fitnessdosis eben auf der Couch herumzulungern und sagen wir mal Velvet Underground zu hören, per Schallplatte. Macht zwar ein schlechtes Gewissen, aber bringt Spaß. Und das ist doch auch schon wieder gesund, oder? Und dieses Augenmerk auf Selbstoptimierung, auf Perfektion, transportiert noch etwas anderes: ziemliche Langeweile. Wenn alles perfekt funktioniert, ist das dann nicht gleichzeitig unfassbar öde?
Ist das nicht unfassbar öde?
Ist dieses Unbehagen kulturpessimistisch oder gar technikfeindlich? Nein, das trifft es nicht. Es ist völliger Quatsch, dass manche behaupten, es gäbe eine Art Digitale Demenz (der Begriff stammt aus einem überaus fragwürdigen Buch von Manfred Spitzer) oder Überlegungen anstellen, dass wir innerhalb des Jahrhunderts zu einer Art Cyborg werden,wie Joshua Foer in einem Artikel der New York Times postuliert: „Das ist die Geschichte des nächsten halben Jahrhunderts, in dem wir effektiv Cyborgs werden“. Dass es gefährlich sei, sein Gehirn in die Cloud auszulagern und man unweigerlich einer digitalen Dummheit anheimfalle, ist völlig absurd. Man lernt ja auch keine Bücher mehr auswendig, sondern kann sie fürs tägliche Nachsehen ins Regal stellen oder auf sein iPad laden. Und könnte derjenige, der das Buch auswenig kann, denn ein iPad bedienen? Wohl nicht – und das hat nichts mit Dummheit zu tun, sondern mit verschiedenen Aneignungstechniken, mit dem Wissen, sich Techniken zunutze zu machen. Auch das ist Wissen.
Doch ohne jetzt weiter abzuschweifen und allzu grundsätzlich zu werden: Man muss eben auch lernen, mit den Möglichkeiten umzugehen, muss lernen, diese kritisch zu hinterfragen. Denn das ist der Punkt: Die Deutungshoheit über sein Handeln und Tun bewahren. Das gilt für das Öffnen der Haustür – oder mal ganz ironisch heruntergebrochen auch für den profanen Schokopudding im Kühlschrank. Wenn ich zwei davon essen möchte und ich eine Nachricht bekomme, dass das nicht gesund wäre, dann ist das eine Sache. Wenn ich es ignoriere und trotzdem esse, dann ist es in Ordnung. Wenn ich denke: Naja, stimmt schon, dann auch. Wenn ich aber denke: Oh Gott, ich darf ja nicht, dann sollte man sich schon bewusst werden, wie das mit der Deutungshoheit denn so ist.
Aber auch auf eine andere Weise kann die Digitalisierung des Alltages ein Problem darstellen: Bei der Frage nach der Dauer der Benutzbarkeit. Ein Blog, der im Jahr 1998 geschrieben wurde, war damals völliges Neuland, heute mutet er wie ein Relikt aus der Steinzeit der digitalen Welt an. Und aufrufbar ist er bestimmt auch nicht mehr. Das Netz vergisst zwar nichts, aber viele Sachen veralten und werden unbenutzbar. Der besagte Blog mit dem ebenso hintersinnigen wie passenden Titel „Abfall für alle“ von Rainald Goetz wurde für die Nachwelt analogisiert, entdigitalisiert – das daraus entstandene Buch ist etwas, was unproblematisch die Zeit überdauern kann und nicht in Gefahr läuft, von einem neuen Format abgelöst zu werden, das möglicherweise inkompatibel zum alten ist. Das Problem ist: Die digitale Welt ist eine, die nicht nur die Dinge archiviert und global zugänglich macht, sondern auch eine, die ungemein schnell vergisst.
Analog oder vernetzt – warum nicht beides?
Und damit kann man auch den Bogen zurück schlagen zum vernetzten Haus. Können Sie noch ohne größere Probleme einen Drucker ansteuern, den Sie vor Jahren für Ihren PowerMac gekauft haben und der nur das Apple-Talk-Protokoll versteht? Und wird man die Heizung aus dem Jahr 2014 auch in 15 Jahren noch mit einer App steuern können, die einst fürs iPhone 6 konzipiert wurde und auf einem, sagen wir mal, iPhone 12s laufen soll? Auch wenn es Software- und Firmwareupdates geben wird – für wie lange wird das der Fall sein?
Bei normaler Unterhaltungselektronik ist das kein Problem, aber bei Installationen im Haus, die man über Jahrzehnte nutzen soll, ist das eher fragwürdig. Was bringt einem die schönste, vernetzte Haussoftware, wenn Apple in fünf Jahren beschließt, dass das Protokoll nun doch nicht mehr so toll ist und Apple Talk 3.0 ins Rennen wirft? Oder schlicht und ergreifend mal der Strom ausfällt. Auch das kann passieren und dann ist man froh, wenn die Tür ganz analog mit dem Schlüssel aufgeht.
Was bleibt also? Der Rat, sich kritisch umzusehen, was an Automationslösungen sinnvoll ist und was nicht. Was benutzt man oft, was eher sporadisch. Und was möchte man lieber selbst erledigen. Ich laufe ganz gerne durch dunkle Zimmer und taste nach dem Lichtschalter, trotz meiner App-gesteuerter Pflanzenüberwachung, die mir meldet, wann es wieder Zeit fürs Gießen ist. So ein semivernetztes Haus mit wahlweisem Analogmodus, das hätte ich gerne.
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Guter Artikel!
Hey, guter Artikel!
Ich fände es gut, wenn weniger Lebensmittel vergammeln und mir Siri abends vorschlägt, was ich denn so alles kochen könnte mit den vorhandenen Lebensmitteln.
Viel ernster: der ungebrochene Hang zur Totalüberwachung unserer demokratischen Führer und Herrscher. Sie wissen dann dank der Bankdaten nicht nur, wo ich eingekauft habe, sondern auch, wo im Kühlschrank der Einkauf liegt.
Wir merken gar nicht wie öde und langweilig unser Leben langsam wird. Spießig war gestern , heute ist spießig 3D....Wir werden über jede Kleinigkeit informiert, nichts läufts mehr überraschend ab, keine Spontanen Dinge passieren, jede Information ist verfügbar. Was ist das für ein langweiliges Leben. Früher mußte man auch mal spontan auf's Wetter reagieren, kurzfristig umdisponieren, mann wußte nicht was im Kühlschrank war und stellte sich ein spontanes Essen zusammen, man traf überraschend Bekannte (heute kann man die Posistion aller Freunde schon vorher checken....). Auch Gespäche werden sofort abgewürgt mit ...sieh doch mal bei google nach.... Noch ist es nicht ganz soweit, aber ich frage mich schon langsam, ob das wirklich ein interessantes Leben ist, wenn mann alles vorher weis, alles geplant abläuft........
Früher war alles besser, definitiv. Das wussten schon die Menschen im Mittelalter.
Ich liebe es, meine Ausflüge nach dem Regenradar zu disponieren, denn dann bleibe ich trocken. Habe da nichts vermisst.
Vielleicht reicht es ja als Überraschung, wenn im Kühlschrank etwas vorzeitig verschimmelt. Das wüsste Siri ja auch nicht.
Und ja, ich habe keine Lust meinen mit Mitmenschen jeden Tag aufs Neue die Wikipedia runterzubeten. Das gemeinsam lesen und diskutieren ist viel interessanter. Und ich muss nicht abwarten, bis in der Bücherei das betreffende Buch in einer Woche wieder zurück ist.
Hinter jedem Wort auf dem Mac oder iPhone wartet bereits das Oxford Dictionary oder Google schaut für mich nach. Ich weiß, das war früher viel besser, als der dicke Schinken in der Schule auf dem Tisch lag. Blättern ist eigentlich auch viel gesünder. Heul.
Ich sehe definitiv auch Tendenzen zu richtig , langweiligen, öden, spießigen Leben, wenn alles geplant wird, einem nichts mehr überraschen kann.
Es ist doch unbetstritten, das das digitale Leben Vorteile bringt, die man natürlich nutzt. Nur irgendwo gibt es meiner Meinung auch Grenzen. Das kann man auch anders sehen.
Ich habe aber die Erfahrung gemacht, das genau das spontane, ungeplante, überraschende das Leben interessant macht.
Und das hat nichts damit zu tun , das es jetzt einfacher ist an Bücher zu kommen