AirPods Pro 2 als OTC-Hörgeräte

Keine AirPods auf Rezept: AirPods Pro 2 als Hörgeräte

Apple hat für die AirPods Pro 2 eine Hörhilfefunktion angekündigt. Sollte man bei nachlassendem Gehör also demnächst nicht mehr zum Hörakustiker gehen, sondern in den Apple Store?

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Dass unser Gehör im Laufe eines Lebens nachlässt, ist nur allzu menschlich. Nachlassende Hörfähigkeit ist zumeist nicht die Folge einer Krankheit, vielmehr Folge natürlicher Alterung. Etwa jeder Fünfte von uns ist betroffen. Darunter auch immer mehr Jüngere, deren Gehör aufgrund übermäßiger Pegel frühzeitig nachlässt.

Kein Wunder also, dass Apple das Thema schon vor Jahren für sich entdeckte. Funktionen zur Hörunterstützung bietet der Hersteller bereits seit Längerem in seinen Bluetooth-Ohrhörern, ebenso können Funktionen wie „Live-Mithören“ und „Konversationsverstärkung“ bei leicht beeinträchtigtem Gehör die Verständigung im Alltag unterstützen. Erste Hörgeräte mit „Made for iPhone“-Siegel kamen schon 2013 auf den Markt – ermöglicht von Apple und dem dänischen Hörgeräte-Hersteller GN, über dessen Resound-Hörgeräte wir auch in der Mac Life wiederholt berichtet haben. Im Übrigen hat Apple bereits vor Jahren eine ganze Reihe Patente aus der Hörgeräte-Branche erworben.

Zum Autor: Martin Schaarschmidt

Martin Schaarschmidt ist Kommunikationsberater, Autor und Fachjournalist mit Spezialisierung auf die Themen Hörgeräte, Hörimplantate und Hörrehabilitation. Er betreibt ein PR-Büro in Berlin, schreibt für zahlreiche Zeitschriften und Onlinemedien und veröffentlichte mehrere Bücher. Dem Hören mit und ohne Technik widmet er sich zudem auf die-hörgräte.de.

Beim Streaming von Sound aus dem Mobil- ins Hörgerät war „Made for iPhone“ Vorreiter: Ganze fünf Jahre vergingen, bis Google eine ähnliche Funktionalität auch für Android integrierte. Doch an die Stelle proprietärer Bluetooth-Protokolle tritt aktuell das neue Bluetooth LE Audio mit Auracast. Dafür sind bereits erste Smartphones und Earbuds (unter anderem von Samsung, Sony und Google) sowie auch erste Hörgeräte (Resound, Beltone) verfügbar. Apple hingegen macht es in puncto Auracast spannend …

Over-the-Counter-Hörgeräte: Apple startet in einen bereits bestehenden Markt „Made in USA“

Dass Earbuds neben Musik und Telefonie auch leichte bis mittlere Hörverluste ausgleichen können, ist nicht neu und wurde vor allem für den US-amerikanischen Hörgeräte-Markt forciert. Um der großen Zahl unversorgter und nicht versicherter Schwerhöriger zu begegnen, wurde die Idee der OTC-Hörgeräte („Over the Counter“, also ohne Rezept frei verkäuflich) unter der Obama-Regierung geboren, unter Trump weiterverfolgt und unter Biden per Gesetz geregelt: Ob Jabra, Bose, Nuheara, Sennheiser oder Olive Pro – seit 2022 gibt es in den USA zahlreiche Earbud-Lösungen für besseres Hören im Alltag, die sich Kundinnen und Kunden ohne jede fachkundige Unterstützung selbst per App oder online einstellen. Versuche, diese Produkte auch in Deutschland zu vermarkten, blieben bislang wenig erfolgreich.

Hörverlust stellt sich meist schleichend ein. Apples AirPods Pro 2 können eine Hilfe sein.
Hörverlust stellt sich meist schleichend ein. Apples AirPods Pro 2 können eine Hilfe sein. (Bild: Apple)

Nun hat auch Apple im Zuge der iPhone-16-Präsentation eine „klinische“ Hörhilfefunktion für seine AirPods Pro 2 bekannt gegeben. Nach einem für diesen Herbst angekündigten Software-Update sollen die Earbuds bestimmte Klänge verstärken und ein personalisiertes Hörprofil für Musik, Filme und Anrufe bereitstellen können. Eine Geräuschreduzierung soll störende Geräusche 48.000-mal pro Sekunde filtern, um vor Lärmbelastungen zu schützen, ohne dabei die Wahrnehmung zu verfälschen. Zudem wird mit iOS 18 ein validierter Hörtest eingeführt. Der Test macht es möglich, in fünf Minuten das eigene Hörvermögen zu prüfen; die Ergebnisse werden in der Health-App gespeichert.

Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) genehmigte vor wenigen Tagen eine Software namens „Hearing Aid Feature“ (kurz HAF). Sie wird es den AirPods Pro 2 und vermutlich auch kommenden Modellen erlauben, als Hörgeräte zu fungieren, wenn sie mit einem iOS-18-kompatiblen iPhone oder iPad gekoppelt sind.

Werden die AirPods Pro 2 damit zu einer preiswerten Alternative für Hörgeräte aus dem Hörakustik-Fachgeschäft? Ein klares Nein, denn echte Konkurrenz zu Letzteren sind sie sicherlich nicht. 

Kein konventionelles Hörgerät, aber ein Schritt zum besseren Hören

Während neueste Hörgeräte-Akkus zuverlässig über einen ganzen Tag (mitunter bis zu 30 Stunden) halten, liefern die AirPods Pro 2 ganze fünf Stunden. Weitaus schwerer wiegen dürfte, dass Hörgeräte beim guten Hörakustiker nicht nur individuell eingestellt, sondern auch an jede Ohrform angepasst werden – am besten mit maßgefertigtem Gehäuse beziehungsweise Ohrpassstück. Jedes Ohr hört nicht nur anders, jedes ist auch anders geformt. Bei Technik, die täglich von früh bis spät komfortabel sitzen soll, eine große Herausforderung, die sich auch mit dem besten Standard-Design nicht befriedigend lösen lässt. 

Hinzu kommt, dass die AirPods 2 Pro als frei verkäufliche Hörgeräte weniger Verstärkung liefern als rezeptpflichtige Hörgeräte – andernfalls könnten sich Nutzende das Gehör nämlich zusätzlich schädigen. Und auch preiswerter sind die AirPods mit ihren 279 Euro nicht, wenn man bedenkt, dass Versicherte in Deutschland bei entsprechender Verordnung Anspruch auf zuzahlungsfreie, fachkundig angepasste Geräte inklusive langfristigem Service haben; selbst Hörgeräte mit App-Steuerung und Streaming vom iPhone sind schon für moderate Zuzahlungen zu bekommen. Und bei schwererem Hörverlust bleibt entsprechend starke Hörtechnik sowie eine exakte Anpassung ohnehin unerlässlich.

Per Softwareupdate laden die AirPods Pro 2 künftig zum Hörtest ein. Den Besuch beim Spezialisten kann die Technik aber nicht ersetzen.
Per Softwareupdate laden die AirPods Pro 2 künftig zum Hörtest ein. Den Besuch beim Spezialisten kann die Technik aber nicht ersetzen. (Bild: Apple)

„Wir gehen davon aus, dass so ein Gerät durchaus auch Bedingungen des Medizinproduktegesetzes erfüllt“, sagt Jakob Stephan Baschab, Hauptgeschäftsführer der Bundesinnung der Hörakustiker KdöR, angesichts der von Apple angekündigten Lösung. „Wir gehen allerdings nach dem derzeitigen Stand nicht davon aus, dass es auch die Bedingungen des Hilfsmittelverzeichnisses erfüllt, was die Voraussetzung wäre, damit es dann auch eine gesetzliche Krankenversicherung bezahlt. Aber das steht ja derzeit auch gar nicht zur Diskussion.“

Dennoch ist die Neuigkeit aus Cupertino eine gute: Zu erwarten ist etwa, dass durch den integrierten Hörtest noch mehr Menschen frühzeitig von ihrem Hörverlust erfahren – denn der stellt sich meist schleichend ein und wird oft erst nach Jahren bemerkt.

„Dass sich nun auch Apple dem Markt der OTC-Hörgeräte anschließt, bewerten wir durchaus positiv“, so Hans-Christian Drechsler, Leiter Produkt-Marketing der GN Hearing, jenem Hörgeräte-Hersteller, der als Erster Hörgeräte „Made for iPhone“ einführte. „Wir sehen die AirPods nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu unseren Produkten. Apple wird dazu beitragen, dass sich noch mehr Menschen mit ihrer Hörgesundheit beschäftigen. Und wer dank seiner AirPods im Restaurant oder auf einer Party endlich wieder versteht, überwindet zugleich Berührungsängste vor anderen Hörhilfen. Er wird offen für die Nutzung weiterer Technologie – auch für solche mit medizinischer Verstärkung. Und er wird die smarten und hoch personalisierten Produkte, die wir gemeinsam mit dem Hörakustik-Fachhandel anbieten, umso mehr schätzen lernen.“

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