Kann das sein? Apple hat bereits ein fertiges Auto und wir alle wissen nichts davon? Ja, es kann. Ein mehrseitiges Feature in der neusten Ausgabe des Manager Magazins stellt nicht die Wahrheit, sehr wohl aber viele kleine Wahrheiten über das Projekt Titan zusammen, die über einen längeren Zeitraum recherchiert wurden und an denen man sich abarbeiten kann.
Die deutsche Autoindustrie muss sich fürchten
Eine dieser Wahrheiten lautet: Die deutsche Autoindustrie muss sich fürchten, allen voran Audi, BMW und Daimler. Gleich zwei Gründe werden genannt, warum hiesige Autobauer sich in Acht nehmen müssen.
Im Manager Magazin 7/2016 (S. 28 bis 35) ist Apples Projekt Titan die Titelgeschichte (auch online abrufbar). Schon auf dem Cover des Magazins wird der Leser mit dem Thema prominent konfrontiert. Im Editorial wird der Leser dann damit begrüßt, dass "kein anderes Projekt" für die deutsche Industrie so gefährlich werden kann wie Apples Projekt Titan.
Michael Freitag unter Mitarbeit von Andrea Rungg haben mit Partnern, Zulieferern und Mitarbeitern gesprochen und Informationen über das Apple Car zusammengestellt.
Der Wechsel auf Elektrofahrzeuge ist in vollem Gang und die Automobilindustrie im Umbruch. Nicht zuletzt wird das Thema für mehr und mehr Verbraucher interessant, da vor kurzem die Förderung von E-Fahrzeugen beschlossen wurde.
Der eine ist grundsätzlicher Natur: Apple hat viel Geld und in den letzten Jahren die Ausgaben für Forschung und Entwicklung vervielfacht. Der iPhone-Hersteller gab zuletzt deutlich mehr Geld im Bereich F&E aus als einer der genannten Fahrzeugkonzerne. Zuletzt waren es im Jahr 2015 7,2 Milliarden Euro. BMW gab im gleichen Zeitraum nur 5,2 Milliarden Euro aus, Daimler nur 4,7 und Audi gar nur 4,2 Milliarden Euro. Allerdings muss man an dieser Stelle bereits relativieren. Denn die Ausgaben der Fahrzeugkonzerne sind weitaus eindimensionaler zu sehen. Natürlich sind Audi, BMW und Daimler nicht nur Autobauer, doch Apple ist ein Technologie-Konzern, der seit einiger Zeit seine Kräfte „auch“ in Autos investiert. In der Realität wird also Apple nicht mehr Gelder für Projekt Titan bereitgestellt haben, stattdessen sind ebenso Ressourcen in die Entwicklung von Produkten wie dem Apple Pencil und anderer neuer Ideen geflossen, von denen wir heute noch nichts wissen. Das ändert sich auch nicht, wenn man die Prognose berücksichtigt, dass das Unternehmen in diesem Jahr mehr als 10 Milliarden Euro für F+E ausgeben mag.
Der andere Grund, warum die Autobauer sich zumindest in Acht nehmen müssten sei Apples eigene Kartenanwendung. Sie sei, so wird gegenüber dem Manager Magazin erläutert, nicht mehr weit weg von der Qualität von Nokias „Here“. Das Nokia muss man streichen, denn ein Konsortium der Autobauer BMW, Daimler und Audi hat dem finnischen Smartphone-Hersteller die Kartenanwendung 2015 abgekauft. Hätte man Nokia in diesem Zusammenhang jedoch nicht erwähnt, wüsste kaum jemand, worum es sich handelt. Denn so toll „Here“ auch ist, den Dienst haben viel weniger Menschen genutzt als beispielsweise Google Maps. An Maps wird auch in Deutschland gearbeitet. In Berlin soll es ein eigenes „Lab“ Apples geben, das sich mit der Fortentwicklung beschäftigt. In Indien wurden 4.000 Mitarbeiter eingestellt, um die Qualität des Kartenmaterials zu optimieren. Die Kartenanwendung aus Cupertino ist mittlerweile besser als ihr Ruf, der anfänglich durch nicht zu übersehende Fehler geprägt wurde - andere sagen, eine zu frühe Veröffentlichung sei Schuld gewesen.
Müssen sich deutsche Autobauer tatsächlich vor Apple fürchten?
Aber müssen sich deutsche Autobauer wirklich vor Apple fürchten? Das Manager Magazin stellt die Chefs von Daimler (Dieter Zetsche), BMW (Harald Krüger) und Audi (Rupert Stadler) als Apple-Freunde „und“ - Feinde dar. Sie müssen ein natürliches Konkurrenzdenken gegenüber Tim Cooks Firma an den Tag legen, wollen es sich mit dem iPhone-Hersteller aber gleichzeitig nicht verscherzen.
In diesem Kontext lohnt es den Blick auf ein weiteres Fahrzeugunternehmen zu werfen: Fiat Chrysler. Denn dessen CEO, Sergio Marchionne, hat öffentlich unumwunden zugegeben, dass die Devise gilt: Wer nicht abgehängt werden will, der muss sich anhängen. Marchionne hatte erklärt, dass Apple viel zu groß sei, um ernsthaft daran zu denken, in Konkurrenz treten zu wollen. Der Konzern erwirtschaftete 2015 47,8 Milliarden Euro Gewinn. Das sind mehr als fünfmal so viel wie Daimler (8,7 Milliarden) und noch viel mehr als BMW (6,4 Milliarden) oder Audi (4,2 Milliarden). Rein finanziell steckt Apple die Unternehmen spielend in die Tasche. Deshalb warnte Audi-Chef Stadler vor den Attacken aus Silicon Valley: „Es geht ums Überleben“.
Wer den Auftritt von Daimlers Firmenchef Dieter Zetsche auf RTL in Thomas Gottschalks Sendung „Mensch Gottschalk“ gesehen hat - mehr als zwei Millionen haben es -, der wird nicht das Gefühl bekommen haben, dass da jemand ist, der sich fürchtet. Selbstbewusst präsentierte Zetsche die eigene Technologie zum autonomen Fahren und ein Fahrzeugkonzept mit viel Elektronik: Fenstern zum Beispiel, die zu Bildschirmen werden können und den Reisenden das Gefühl geben, sie führen durch die USA, obwohl sie von Hamburg nach Bremen unterwegs sind. Sitze, die 360-Grad-drehbaren Wohnzimmersesseln ähnelten, erlauben die gemütliche Lounge-Atmosphäre in einem Gefährt, das in Zukunft den Chauffeur ersetzen wird. Gottschalk stellte Zetsche damals schon die Frage, ob er Angst vor Google hätte, das im Bereich des autonomen Fahrens ebenfalls aktiv sei. Zetsche zeigte sich selbstbewusst: Man sei auf Augenhöhe. Apple wurde von beiden Parteien nicht erwähnt. Absicht? Glaubt man den Quellen des Manager Magazins, dann haben die deutschen Autobauer nämlich hinter den Kulissen viel mehr mit Apple zu tun als nach außen hin bekannt ist, zumal in der Öffentlichkeit dargestellt wurde, dass eine Kooperation sich zerschlagen habe. Es kann Tim Cook nur Recht sein, wenn die Öffentlichkeit im Unklaren über die Pläne ist, weil man dann mit Sicherheit eines Tages ein „One more Thing“ aus dem Hut zaubern wird können.
Darum müssen deutsche Autobauer sich vor Apple fürchten
Wer das Feature im Manager Magazin liest, der stellt aber einen ganz anderen Grund fest, warum sich prinzipiell alle Unternehmen vor dem Konzern aus Cupertino fürchten müssen. Zumindest wird es dort glaubhaft so geschildert unter Berufung auf anonyme Tippgeber aus dem Business. Apple ist, bildlich gesprochen, wie ein Schwamm. Es saugt alle Expertise in sich auf, und zwar so, wie man es gemeinhin von chinesischen Firmen erwarten würde. Gegenseitige Verschwiegenheitsabkommen mit Apple, heißt es im Manager Magazin, seien oftmals einseitige Knebelverträge zugunsten des iPhone-Herstellers. Dieser würde von jeder Kooperation auf unterschiedliche Art profitieren.
An diesem Punkt haben die Unternehmen tatsächlich Angst. Denn Apple greift direkt und indirekt Expertise ab. Es wird Personal abgeworben. Beispiele? Gibt es viele. Doch das erwähnte „Lab“ in Berlin, in dem Apples Kartenanwendung verfeinert wird - dort sollen 20 bis 25 Mitarbeiter werkeln. Das klingt zunächst wenig, doch alle sollen vorher für das „Here“-Kartenprojekt der Konkurrenz von Audi, Daimler und BMW gearbeitet haben. Chris Porritt, der jetzt bei Apple Leiter der Abteilung „Special Projects“ ist, war vorher Teslas Chefentwickler. Doug Betts war Qualitätschef bei Fiat Chrysler, ehe er zu Apple kam. Nicht zuletzt wird Paul Furgale als Beispiel aufgeführt, der stellvertretender Leiter des Instituts für autonome Fahrzeuge an der ETH Zürich war und nun für Cupertino arbeitet.
Ein weiterer Aspekt, der Sorgenfalten auf die Stirn so manches Autobauer-Managers treibt, ist finanzieller Natur. Apple könnte ein eigenes Auto super billig produzieren lassen, und hätte eine Gewinnmarge, von der klassische Autobauer nur träumen können. Woran liegt das? Apple muss nicht jeden Monat Fixkosten für Getriebe-, Achsen-, Motoren- und Autowerke aufbringen, sondern kauft einfach extern ein. Dies wird, wenn es denn mal so kommt, die Kluft zwischen den Unternehmen noch weiter vergrößern. Dass es so kommt stellt jedoch niemand mehr in Frage.
Wann kommt das Apple Car?
Man erfährt in dem Feature von Michael Freitag, das unter Mitarbeit von Andrea Rungg entstand, und sehr viele „anonyme“ Stimmen aus der Fahrzeugindustrie und aus Zuliefererkreisen auswertet, dass Apple bereits ein eigenes Auto auf der Straße haben könnte. Doch Tim Cook und Jony Ive, aber auch Dan Riccio, der liebevoll der „Car Guy“ genannt wird, seien bislang unzufrieden mit dem Ergebnis. Schon 2018 wollte man auf den Markt, dann wurde auf 2019 und später 2020 verschoben. Es könnte sogar sein, dass man weitere zwei Jahre auf das Apple Car wird warten müssen, heißt es im Manager Magazin. Nicht, weil Apple nicht kann, sondern weil es noch nicht will. Das könnte sich allerdings schnell ändern.
Und wie soll es aussehen, das Apple Car? Es sei ein iPhone auf Rädern, heißt es im Artikel, ähnelt einem hochtechnisierten VW Buli. In jedem Fall soll es mehr in Richtung SUV entwickelt werden. Das erste Modell soll für mehr als 100.000 Euro als Fahrzeug der Oberklasse in Konkurrenz zu Teslas Model S verkauft werden, erfahren wir. Es soll jedoch eine Fahrzeug-Familie aus drei Modellen entstehen. Ein alternatives Szenario sieht ein Apple Car zum Preis von um die 50.000 Euro vor, das die obere Mittelklasse attackieren soll. Eins ist sicher: So konkrete Informationen darüber, wie Apples Projekt Titan aussehen soll, haben wir bislang vergeblich gesucht.
Noch eins wird bei der Lektüre deutlich. Apple scheint sich vor niemandem in Acht nehmen zu müssen.
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Geht doch! Klasse geschrieben, viel detaillierter, obwohl an einigen Stellen kurz gedacht habe, dass es kritisch werden könnte, wurde jedes mal wieder in die Spur gefunden .. weiter so!
@Naund: Danke sehr. Aber... ich kündige jetzt schon an, dass wir trotzdem in Zukunft auch mal unterschiedlicher Meinung sein werden. ;)