Interview zur Vision Pro

Anand van Zelderen: »Technologie sollte positive Emotionen auslösen!«

Apple möchte die Vision Pro als Spatial-Computer im professionellen Umfeld etablieren. Wir unterhielten uns dazu mit Anand van Zelderen von der Universität Zürich, der eine Studie zu Virtual-Reality-Anwendungen am Arbeitsplatz leitet.

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Mac Life: Anand, beantwortest du dieses Interview ganz traditionell am Computer oder trägst du dabei eine VR-Brille?

Anand van Zelderen: Ich trage zurzeit keine VR-Brille – und ich hoffe, dass du bisher keine Leute interviewen musstest, die eine tragen. Denn das wäre wohl ein recht fragwürdiges Vergnügen.

Woher kommt dein Enthusiasmus für virtuelle Realitäten?

Ich habe in den Niederlanden Psychologie studiert. Als ich für meine Doktorarbeit nach Brüssel umzog, konzentrierten sich meine Studien darauf, wie sich Technologie auf den Arbeitsalltag auswirkt. Mit der Zeit wurde ich dabei auf die Nutzung virtueller Realität am Arbeitsplatz aufmerksam. Konkrete Untersuchungen zu diesem Thema lagen aber nicht vor – was mich überraschte. Meine Universität stellte mir ein Budget zur Verfügung; so nahm ich die Chance wahr, baute meine eigene Forschungsgruppe und Infrastruktur auf und leitete eine Gemeinschaft von Experten im Bereich der virtuellen Realität.

Unsere Studien an der Schnittstelle von VR und Management waren recht einzigartig, und so bekam ich ein Angebot von der Universität Zürich, mein eigenes Labor aufzubauen.

Wie sieht dieses Labor aus?

Wie du dir vorstellen kannst, arbeiten wir in erster Linie virtuell. Mir stehen einige studentische Hilfskräfte zur Seite. Wir verfügen über einige Headsets – hauptsächlich Meta-Quest-Brillen. Das erlaubt uns, unser Labor mobil zu betreiben. Wir arbeiten für unsere Studien mit vielen Arbeitnehmenden, und es ist von riesigem Vorteil, alle nötigen Geräte in eine Tasche zu packen und sie vor Ort an ihrem Arbeitsplatz besuchen zu können.

Anand van Zelderen hat in den Niederlanden Psychologie studiert und in Brüssel promoviert.
Anand van Zelderen hat in den Niederlanden Psychologie studiert und in Brüssel promoviert. (Bild: privat)
Anand P. A. van Zelderen …

… ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Leadership in the Future of Work der Universität Zürich. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich Organisationsverhalten und Technologie. Er leitet das „Future of Work VR Laboratory“ des „Center for Leadership in the Future of Work“ und ist Gründer der „Openverse Open Science Initiative“. Seine Forschung konzentriert sich auf die transformative und disruptive Rolle der räumlichen Datenverarbeitung für die Zukunft der Arbeit.

Eines deiner Projekte ist das „Future of Work Virtual Reality Lab“. Wie kam es dazu?

Das FoW VR Lab wird von der Universität Zürich unterstützt, nachdem die Popularität der VR-Technologie und der Zugang zunahmen und sie für den Einsatz in verschiedenen Arbeitsumfeldern interessant und erschwinglich wurde. So bieten sich VR-Anwendungen zum Beispiel für die Ausbildung an. Weiterhin können Menschen sich im Metaversum in verschiedenen Rollen selbst kennenlernen, um eine höhere Sensibilität etwa für Diskriminierungen zu entwickeln.

Wie habt ihr die Teilnehmenden für eure Studien gefunden?

Wir haben gezielt nach Firmen gesucht, deren Mitarbeitende sich für unser Projekt anbieten – etwa auf dem sozialen Job-Netzwerk Linkedin. Überdies arbeiten wir als Universität mit verschiedenen Partnerunternehmen und -organisationen zusammen.

Wie können wir uns die Teilnahme vorstellen?

Die Mitarbeitenden haben weiter in ihren Büros gearbeitet, hatten also ihre Computer, ihre Tastatur und Maus vor sich. Gleichzeitig trugen sie eine Mixed-Reality-Brille, um im virtuellen Raum zusammenzuarbeiten.

Wie war die Aufnahme?

Anfangs waren viele Teilnehmende zurückhaltend, denn sie befürchteten, dass sie sich zu sehr von ihrer eigenen Realität entfernen würden. Einige klagten zudem über Phänomene von „Cybersickness“, also Gleichgewichtsprobleme oder Kopfschmerzen.

Im Lauf der Studie reagierten die meisten jedoch positiv – nicht enthusiastisch, aber positiv. Auffällig ist, dass viele negative Kommentare von Menschen stammen, die bisher wenig oder gar keine Erfahrung mit MR- oder VR-Geräten hatten.

Diesen Trend teilt diese noch neue Technologie mit anderen Innovationen: Wenn etwas neu ist, neigen viele dazu, zunächst einmal das Negative darin zu sehen. Diese Angst lässt nach oder verschwindet oft, je mehr Zeit Menschen damit verbringen.

Das Future of Work Virtual Reality Lab …

… der Universität Zürich erforscht, wie Virtual-Reality-Anwendungen die Arbeitswelt verbessern können. Das „FoW VR Lab“ fördert die Forschung zu VR in der Arbeit, ermöglicht neue Ansätze zur Durchführung von VR-Forschung und testet das Potenzial als Lernwerkzeug. Es bietet zudem neue Möglichkeiten für Menschen, sich virtuell zu treffen und zusammenzuarbeiten. Das Labor dient dazu, die Forschung am „Center for Leadership in the Future of Work“ der Universität voranzutreiben.

Zu welchen Ergebnissen kam die Studie konkret?

Zunächst einmal das Positive: 44 Prozent der Teilnehmenden sind offen für die Idee, ihre Kolleginnen und Kollegen virtuell zu treffen, wenn sie im Homeoffice arbeiten. 25 Prozent gaben sogar an, häufiger von zu Hause aus arbeiten zu wollen, wenn ihre Unternehmen entsprechende Technologien anbieten würden.

53 Prozent der Menschen, die teilnahmen, halten das Metaverse in seiner jetzigen Form jedoch für Zeitverschwendung. Und nur 6 Prozent bevorzugen es, ihre Kollegen virtuell statt im echten Leben zu treffen.

Mit welchen Erwartungen gingen die Menschen ans Metaverse heran?

Unsere Teilnehmenden gaben zumeist an, fokussierter und mit mehr Inspiration arbeiten zu wollen. Viele schätzten auch die technische Herausforderung.


53 Prozent der Teilnehmenden halten das Metaverse für Zeitverschwendung. —   Anand van Zelderen

Und haben sich diese Erwartungen erfüllt?

Eher nicht: Nur 15 Prozent denken, dass das Arbeiten in der virtuellen Welt zu mehr Zufriedenheit beigetragen hat. 66 Prozent der Teilnehmenden treten dem Metaverse nach Beendigung der Studie sogar mit eher negativen Emotionen entgegen.

Teilnehmende der Studie nutzten an ihrem Arbeitsplatz eine Mixed-Reality-Brille.
Teilnehmende der Studie nutzten an ihrem Arbeitsplatz eine Mixed-Reality-Brille. (Bild: Anand van Zelderen)

Was vermissen die Menschen besonders?

Viele beklagen ein Gefühl der Einsamkeit. In unserem Projekt konnten die Teilnehmenden ja durchaus virtuell mit ihren Kollegen zusammenarbeiten. Trotzdem schien für viele eine Dimension zu fehlen – die tatsächliche physische Nähe.

Technologie haftet zunächst immer etwas Dystopisches, oft sogar Negatives an. Der Begriff des Metaverse stammt aus dem Science-Fiction-Roman „Snow Crash“ und beschreibt einen Eskapismus, um aus einer zerfallenden Welt auszubrechen. Das muss Mark Zuckerberg scheinbar attraktiv erschienen sein (lacht).

Mit Robotern war es ähnlich: Sie traten in der Literatur zunächst als Killermaschinen auf, die die Menschheit auslöschen und die Herrschaft übernehmen wollen. Erst später wurden sie zu Dienern. Die Wahrnehmung ändert sich mit der Weiterentwicklung, der Forschung und der Berichterstattung.

Hinzu kommt, dass die Menschen derzeit mit vielen neuen Technologien auf einmal konfrontiert sind. Es gibt ja nicht nur die Entwicklung virtueller Realitäten, besonders die Künstliche Intelligenz erscheint bedrohlich – nicht zuletzt für den eigenen Arbeitsplatz.

Für mich als Forscher ist es daher in erster Linie die Frage interessant, wie wir diese neuen Technologien so einsetzen können, dass sie einen wirklichen Mehrwert im Alltag der Menschen darstellen und ihr Leben aktiv verbessern.

Umgekehrt erwachsen aber ganz neue Herausforderungen – auch aus psychologischer Sicht. Wenn Leute etwa Musik mit KI erstellen, mögen sie vielleicht eine Menge Zuspruch erhalten – aber sich gleichzeitig wie Betrüger vorkommen und ein „Super-Imposter-Syndrom“ davontragen.

So enthusiastisch ich somit in Bezug auf die neuen Technologien bin, betrachte ich sie doch sehr skeptisch und vorsichtig. Wir müssen uns stets fragen, ob und wie sie unserem Leben Wert und Sinn verleiht – und ich meine nicht nur ökonomischen Wert.

Ein Rezept gegen Einsamkeit? Mitarbeitende fanden in der virtuellen Welt zusammen.
Ein Rezept gegen Einsamkeit? Mitarbeitende fanden in der virtuellen Welt zusammen. (Bild: Center for Leadership in the Future of Work)

Wie viel Zeit verbrachten die Teilnehmenden pro Tag mit einer VR-Brille?

In der Regel ein oder zwei Stunden pro Tag. Und daraus leitet sich auch unsere Empfehlung ab: Du solltest Geräte wie die Vision Pro nicht länger tragen, um nicht den Bezug zu deinem Umfeld zu verlieren.

Welche Ergebnisse haben dich an der Studie am meisten überrascht?

Die fehlende positive Annahme. Der Prozentsatz der Menschen, die AR- und VR-gestützte Arbeit am Ende mit durchweg positiven Emotionen belegten, lag bei unter 5 Prozent.

Gibt es Hinweise darauf, dass Menschen mit den neuen Technologien produktiver arbeiten?

Ich glaube nicht, dass VR derzeit schon in produktiven Bereichen Einzug findet. Ich sehe den Einsatz eher im Trainings- und Ausbildungssegment, und hier scheinen die Methoden tatsächlich effektiver zu sein als traditionelle Mittel.

Gibt es auch Anwendungen im psychologischen Bereich?

Es gibt etwa Hinweise darauf, dass die VR-Technologie bei der Trauerbewältigung helfen kann. So haben Forschende anhand von Videos, Bildern und Nachrichten den Avatar eines Kindes erschaffen, das unerwartet gestorben ist. Die Eltern konnten mit dieser virtuellen Abbildung interagieren, um Abschied zu nehmen.

Siehst du weitere positive Anwendungen?

Meiner Ansicht nach unterschätzen wir die Aspekte für die Umwelt. Wenn wir etwa die Natur von Australien oder des Regenwaldes virtuell erleben können, besteigen vielleicht weniger Leute ein Flugzeug. Und entwickeln trotzdem ein Bewusstsein für die ökologischen Herausforderungen.


Technik muss einfach zu nutzen, ihre Anwendung schnell erlernbar und der Nutzen erkennbar sein. —   Anand van Zelderen

Was denkst du über die Vision Pro?

Apple ist ohne Zweifel eine sehr beeindruckende Hardware gelungen, die die bisherigen Entwicklungen nochmals übertrifft. Gleichzeitig fehlen mir aber noch die konkreten Anwendungen für das Spatial-Computing.

Was müsste Apple für eine breitere Aufnahme verändern?

Wichtig sind drei Komponenten: Technik muss einfach zu nutzen, ihre Anwendung schnell erlernbar und der Nutzen erkennbar sein. Ein perfektes Vorbild, das alle drei Kriterien intuitiv erfüllt: das iPhone. Es ist zudem einigermaßen erschwinglich. Hinzu kommt: Nutzt du kein Smartphone, nimmst du mittlerweile eventuell sogar soziale Nachteile in Kauf. All diese Punkte erfüllt ein Spatial-Computer bisher nicht.

Noch wichtiger ist jedoch, wie sich Menschen bei der Nutzung fühlen. Technologie sollte positive Emotionen auslösen. Dies geschieht in erster Linie über soziale Aspekte: Hilft sie, mich mit meinem Umfeld enger zu verknüpfen? Unterstützt sie meine soziale Identität? Trägt sie zu meiner Selbstwahrnehmung bei? Befürchten Menschen allerdings, durch ihre Anwendung zu vereinsamen, sind sie nicht gewillt, sie zu nutzen – und genau dies legen unsere Studien offen.

Wo siehst du die VR-Technologie in fünf oder zehn Jahren?

Ich denke, dass Künstliche Intelligenz die VR-Anwendungen sehr viel interessanter machen wird. KI wird selbsttätig virtuelle Umgebungen gestalten, in denen wir uns für unsere Arbeit, Ausbildung und in unserer Freizeit bewegen. Die Synergien sind riesig – und wir sollten beide Entwicklungen daher nicht länger getrennt voneinander betrachten.

Aber Apple muss einen langen Atem bewahren. Sie sind jedoch in der Lage dazu.

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