Labelporträt: Erased Tapes

Ein untrügliches Gespür

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Nun sieht so manches rückblickend bedeutend einfacher aus, als es in Wahrheit gewesen ist. Und auch Robert Raths fragt sich manchmal, worin genau seine Leistung bestand und ob „die Dinge nicht ohnehin von selbst gelaufen wären“. Doch steht unumstritten fest, dass er ein untrügliches Gespür für die richtigen Acts zum richtigen Zeitpunkt hatte. Als er mit Ryan West aus Leicester Kontakt aufnahm, hatte sich noch niemand für seine Musik interessiert und West hatte nicht viel mehr aufzuweisen als einen MySpace-Account. Raths bot eine Veröffentlichung an und landete direkt mit der „Vemeer“-Single und der „The Decadent“-EP zwei Volltreffer. Ólafur Arnalds schien andersherum bereits kontraktuell verpflichtet, als Raths seine Musik entdeckte und sich Hals über Kopf in sie verliebte – zu einem Zeitpunkt, als Arnalds als Solokünstler noch gänzlich unbekannt war und sich vor allem durch seine Hardcore-Projekte und als gelegentlicher Arrangeur von Streichorchestern einen Namen gemacht hatte. Für Raths stand allerdings fest: „Das ist einer von uns, der muss mit aufs Label!“ Er schrieb ihn schließlich ganz unverbindlich an, bestellte ein T-Shirt und erfuhr, dass der Isländer zwar in der Tat einen Vertrag besaß, aber noch nicht ganz zufrieden mit diesem war. So kam es schließlich dazu, dass „Eulogy for Evolution“ auf Erased Tapes erschien und sich rasch zu einem weltweiten Überraschungserfolg entwickelte.

Die Basis für diese Entscheidungen ist nicht so sehr persönlicher Geschmack: „Das klingt zu sehr nach etwas, was feststeht, und mein Geschmack kann sich schließlich ändern“. Vielmehr ist es die Bereitschaft, etwas Neues zu wagen, das inspiriert, den eigenen Horizont zu erweitern. Allerdings schränkt Raths ein: „Dieser Aspekt des ‚Neuen‘ gilt dabei nur für mich persönlich. Aber für das Label geht es darum, dass wir zum richtigen Zeitpunkt etwas machen, das uns voranbringt.“ So bleibt Raths immer am Ball und bemüht sich darum, dass sich sein Unternehmen niemals festfährt. Bei manchen Themen fällt ihm selbst auf, „dass ich jetzt wie ein Labelboss klinge“ – und das gefällt ihm nicht. Gleichzeitig ist er bereits dabei, den nächsten kreativen und geschäftlichen Schub vorzubereiten und allzu dogmatische Vorstellungen davon, wofür das Label steht, aufs Neue zu widerlegen. Natürlich ist das gelegentlich eine durchaus nicht ungefährliche Gratwanderung. Doch hat sich das Wagnis bislang immer gelohnt: Ohne Erased Tapes wäre die Musiklandschaft tatsächlich um ein Quäntchen Glück ärmer.

von Tobias Fischer

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