Labelporträt: Erased Tapes

Emotionen & Business

Nicht nur für die visuelle Präsentation ist Raths, der nicht als aufstrebender Plattenboss, sondern zum Architekturstudium nach England zog, selbst zuständig. In den ersten Jahren des Labels hat er praktisch alles selbst gemacht, dabei in drei bis vier Zeitzonen gleichzeitig gelebt und sich als Vertriebler, Marketingchef, Tourmanager und künstlerischer Berater betätigt. Noch heute gilt das Versprechen, dass er jede Band, die ihn darum bittet, auf ihrer ersten Tournee begleitet – und wann immer sich die Gelegenheit ergibt, schaut er auch immer wieder gern bei Auftritten bereits etablierter Acts vorbei. Erased Tapes ist, ohne es groß aussprechen oder sich damit brüsten zu müssen, eine Familie, und wie ein Vater sorgt sich Raths um das Wohl und Weh seiner Schützlinge. Wenn Unsicherheit in kreativen Aspekten besteht, macht er Verbesserungsvorschläge. Wenn Organisationstalent gefragt ist, greift er zum Hörer. Und ist eine noch junge Band enttäuscht über geringe Ticketverkäufe, gilt es, die Dinge ins rechte Licht zu rücken. Bei diesem permanenten Multitasking besteht natürlich stets die Gefahr, nicht mehr mithalten zu können: „Es gibt eine natürliche Wachstumsgrenze, und auf die stoße ich jedes Mal. Ich habe mir von von Anfang an mehr aufgeladen, als ich tragen konnte. Ich bin halt nicht der Typ, der um fünf Uhr den Hammer fallen lässt. Ich war immer sehr ambitioniert und habe gesagt, dass ich nach ein paar Jahren auch Leute mit an Bord nehmen möchte.“ Jetzt aber, da Erased Tapes den Sprung in die erste Label-Bundesliga geschafft hat, fühlt es sich plötzlich vollkommen natürlich an, Vorstellungsgespräche zu führen und den ersten Praktikanten einzustellen.

Dabei fühlt Raths natürlich gerade mit den Rückschlägen seiner Bands mit. In gewisser Hinsicht war Erased Tapes der Versuch, übersehenen Künstlern eine Plattform zu bieten und sie für ihre kreative Leistung angemessen zu entlohnen. Gerade deswegen kam für ihn nie in Frage, ein sogenanntes Boutique-Label zu eröffnen, bei dem die Auflagen klein und limitiert, die finanziellen Mittel gering und die Aussicht, davon den Lebensunterhalt bestreiten zu können, gleich Null gewesen wäre. Sich mit pragmatischen Nebenjobs über Wasser zu halten wäre deshalb für ihn undenkbar: „Ich werde sehr emotional, wenn es ums Business geht. Ich möchte wirklich, dass der Künstler ein gewisses Selbstbewusstsein beibehält. Es ist teilweise fürchterlich mit anzusehen, wie Künstler heute behandelt werden. Das Kaufen von Alben gehört für mich zur Beziehung zwischen Kreativen und Hörern dazu. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass die auf Erased Tapes vertretenen Gruppen nebenbei im Callcenter telefonieren müssen. Ich möchte, dass der Musiker das Gefühl hat, dass er das tun kann, was seine Bestimmung ist. Deswegen war es für mich beim Aufbau des Labels wichtig, dass es für den Künstler nicht so aussieht, als sei alles ein Schlaraffenland und nur schöne Kunst. Es ging mir auch konkret darum, wirtschaftlich etwas zu etablieren, was mich und den Künstler in eine Position bringt, in der wir auf lange Sicht Musik produzieren können.“

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