Labelporträt: Erased Tapes

Tradition und Gegenentwurf

Es ist nicht schwer zu erraten, weswegen Raths zurzeit ein so gefragter Gesprächspartner ist. Mit ansteckender Begeisterung und bedingungslosem Einsatz ist es ihm gelungen, in Zeiten rapide sinkender Absatzzahlen im Kerngeschäft der Plattenindustrie nicht nur einen kompletten Gegenentwurf zu den üblichen Branchengesetzen zu formulieren, sondern diesen außerdem noch mit Erfolg auf dem Markt zu etablieren. Erased Tapes fällt sofort durch seinen wunderbar eigensinnigen Katalog auf, in dem der euphorische Post-Rock von „Codes In The Clouds“ neben dem futuristisch knarzenden Elektro-Funk von Ryan Wests „Rival Consoles“ steht, die klassisch angehauchten Kompositionen Ólafur Arnalds' mit der zerbrechlich triumphierenden Impro-Klassik des Berliners Nils Frahm kontrastieren und der feinsinnige Post-Folk von Peter Broderick aus Portland mit den Club-Tunes der isländischen Techno-Supergroup Kiasmos kollidiert. All das kann man nun auf der bereits angesprochenen „Erased Tapes Collection“ nachhören – einen vielseitigeren, ungewöhnlicheren und dabei dennoch stimmigeren Labelsampler wird man in diesem Jahr wohl vergeblich suchen.

Dabei hat Raths das Rad nicht neu erfunden. Man könnte sogar mit Fug und Recht behaupten, dass sein Geisteskind durch eine Kombination aus eher traditionellen Zutaten gewachsen ist: zeitlose Musik, ambitionierte Künstler, endlose Konzertreisen und optisch ansprechende Produkte. Natürlich sind ihm die Methoden des digitalen Zeitalters nicht fremd: Bevor Arnalds' „Found Songs“ offiziell erschien, stellte er eine Woche lang jeden Tag einen neuen Song kostenlos online – und verführte selbst notorische „Free Culture“-Fanatiker anschließend zum Kauf der Scheibe. Wie selbstverständlich sind alle Alben grundsätzlich auch in digitalen Formaten erhältlich, und der aktuelle Sampler ist sowohl umsonst in niedriger Audioqualität, als auch in einer kostenpflichtigen, hochauflösenden Version erhältlich. Doch das Kerngeschäft sind die eigentlich längst totgesagten Formate: CDs und LPs, grundsätzlich liebevoll gestaltet und aufwändig produziert – man schaue sich dafür nur die detaillierte Innenseite des Klappcovers von Nils Frahms' „Wintermusik“ an.

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