Interview: Siegmar Fricke – Pharmakustik

Revolutionärer musikalischer Neubeginn

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Beat / In wieweit ist diese Musik noch heute für dich eine Inspiration?

Siegmar Fricke / Die klassischen Elektronik-Acts wie Kraftwerk, Cluster, Neu, Klaus Schulze und Ash Ra Tempel standen für einen revolutionären musikalischen Neubeginn seit den späten Sechzigerjahren. Bereits vor dreißig Jahren begann ich, diese Musik zu hören und die Schallplatten zu kaufen. Entsprechend haben mich diese Künstler in meiner musikalischen Entwicklung bis heute entscheidend geprägt und beeinflusst. Noch vor der Krautrock-Gruppierung, die Anfang der Siebziger in Deutschland begann, gab es ja die sehr wichtige Phase der Musique concrète sowie der frühen Avantgarde. Ich war und bin ein großer Verehrer der Musik Karlheinz Stockhausens. Er steht schlichtweg für musikalische Genialität, die bislang unerreicht ist. Seine Darlegungen bezüglich Intermodulation, Metacollage und Polyphonie sind für mich eine große Inspiration. Die in den Sechzigern entstandenen Stockhausen-Werke „Kontakte“ und „Telemusik“ sind selbst der heutigen Musik noch um Lichtjahre voraus. Mitten im Rock’n’Roll-Zeitalter arbeitete er bereits mit Sinusgeneratoren, Ringmodulation und stufenlos beschleunigten beziehungsweise verlangsamten Tonband-Schnipseln.

Beat / Deine Frühphase ist demgegenüber stark von der Tapeszene geprägt …

Siegmar Fricke / Die Tapeszene zwischen 1986 und 1993 war ein sehr wichtiger kreativer Zeitabschnitt. Von Conrad Schnitzler erhielt ich damals ein Blatt mit etwa 100 Adressen von Musikern, die ich anschreiben konnte. Einige Kontakte aus der damaligen Zeit sind bis heute geblieben. Die Tapeszene war wirklich weltweit verteilt und wöchentlich erhielt ich Material aus den unterschiedlichsten Ländern, das ich gegen meine Kassettenprodukte tauschte. Die Motive für die Tapecover waren handgemacht, fotokopiert und noch mit Schreibmaschine geschrieben. Kleine Kassettenlabels haben zeitweilig sogar ihre Covervorlagen gedruckt und professionell reproduziert. Manche Tapes wie die frühen Werke von Maurizio Bianchi oder Le Syndicat sind in den Originalversionen heutzutage fast unbezahlbar, weil sie Kultstatus erreicht haben. Ein besonderes Event fand 1990 in Holland statt: Das Kassettenlabel „Hahamandad“ organisierte ein

Tapeszene-Festival, zu dem rund 200 Leute aus Europa zusammenkamen und dort Live-Gigs spielten. Ab 1993 war diese Zeit aber vorbei und ich konzentrierte mich allmählich auf die digitale Konservierung meiner Musik durch CDs, was in jenen Jahren noch sehr teuer war.

Beat / Wir hatten zu Anfang die Frage nach dem Gesundheitszustand der Musikszene gestellt. Wird aber nicht gerade heutzutage auch wieder verstärkt musikalische Forschungsarbeit geleistet?

Siegmar Fricke / Es ist geradezu fantastisch, dass sich besonders in den letzten zehn Jahren eine umfangreiche Künstler- und Labelgemeinschaft in der elektronischen Musik und Netlabelszene gebildet hat, die ein gutes Gegengewicht zur etablierten, kommerziellen Musikindustrie bildet. Auf Facebook stehe ich in direktem Kontakt zur Szene. Man hat festgestellt, dass sich auch unabhängig von den Majorfirmen hervorragend Musik auf kleineren Labels veröffentlichen lässt. Diese kleineren Labels sind auf innovative Musikrichtungen spezialisiert und setzen sich zudem viel mehr für die Künstler ein. Hier geht es nicht um Profitmaximierung durch millionenfach verkaufte Tonträger, sondern um künstlerisch hochwertige Produkte mit Pioniergeist.

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