Bemerkenswert dabei: Mit der Klangqualität der Museumsstücke beschäftigen sich diese Diskussionen, wenn man einmal von den erbitterten, auf Seiten wie „Gearslutz“ ausgetragenen Fehden absieht, eigentlich schon lange nicht mehr. „Es gibt mittlerweile sehr gute Emulationen, die sehr nah an die Originale herankommen“, so Stefan Leberfinger, der zudem auf die zunehmende Detailverliebtheit der Plug-ins und Software hinweist: „Alte analoge Synthesizer aus der gleichen Serie unterscheiden sich im Klang durch Ungenauigkeiten in den Bauteilen beziehungsweise durch die Beziehungen der Bauteile untereinander. Zudem waren die Oszillatoren meist nicht stimmstabil und veränderten die Tonhöhe bei unterschiedlicher Temperatur. Allerdings werden diese Ungenauigkeiten, die ja gerade den Charakter alter Synthesizer ausmachen, inzwischen ebenfalls emuliert. Ich bin mir sicher, dass man in einigen Jahren den Klang beider Welten nicht mehr unterscheiden kann.“ Tatsächlich sind Systeme wie der bereits genannte und konsequent weiterentwickelte Buchla oder Arturias Modular-Moog-Emulator, für dessen praktisch perfekte Reproduktion des Klassikers sich Schulze wie ein kleines Kind begeistern kann („Genauso gut wie der Große! Das ist echt Wahnsinn, ein halbes Wunder!“), inzwischen sogar bei sonst eher konservativen Analogfetischisten hundertprozentig akzeptiert. Doch auch kostengünstige Alternativen (siehe Leberfingers Empfehlungen im Kasten) bieten sich an. Damit sind die Unterschiede zwischen analog und digital, wie Richard Lainhart es treffend auf den Punkt bringt, „eher philosophischer Natur“.
Dennoch entsteht fortwährend ein extrem brisantes Spannungsfeld zwischen praktisch allen großen musikalischen Themen der heutigen Zeit: virtuell vs. physisch, analog vs. digital, Nostalgie vs. Progression, Beschränkung vs. unendliche Möglichkeiten. Immer mehr setzt sich bei Kreativen dabei die Einsicht durch, dass der Begriff „Fortschritt“ in der Kunst etwas anderes bedeutet als in der Medizin, dass Formationen wie Human League oder OMD nicht von neuen Synthie-Pop-Bands „ersetzt“ werden oder moderne Software analoge Geräte überflüssig macht. Alt und neu kann nebeneinander koexistieren, die Rückkehr zu bereits Bewährtem als bewusster Versuch verstanden werden, dem eigenen Instinkt zu folgen, statt blind modernen Hypes und Trends hinterherzuhecheln. In diesem Sinne hat die Lust an altem Equipment, das wird aus den Erfahrungen der Hieber-Lindberg-Ausstellung mehr als deutlich, mit einer bewusst angestrebten Beschränkung zu tun, mit einer Sehnsucht nach einem charakteristischen Klang statt einer unüberschaubaren Flut an Samples, mit dem Wunsch nach einer über die reine Funktionalität hinausgehende Beziehung mit dem eigenen Instrument. Genau wie die Vinylschallplatte ihre Rückkehr weniger wegen ihrer klangtechnischen Vorzüge gegenüber CD oder MP3-Formaten, sondern vor allem aus haptischen und ästhetischen Gründen feiern konnte, sind das direkt Fassbare und die faszinierende Körperlichkeit der Analogsynthesizer für ihre unwiderstehliche Aura verantwortlich, deren Ausstrahlung jedes noch so sexy verpackte Plug-in um Längen schlägt. Und genau wie viele Musiker sich im Rahmen einer „Slow-Media-Diät“ von Facebook, MySpace und Blogs verabschieden, um sich wieder auf die Essenz – nämlich das Musikmachen – zu besinnen, liegt in dem drastisch reduzierten Potenzial alter Synths eine Chance zur technischen Entschlackung und oft auch kreativen Neuanfang.
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