Spotify und die Musikindustrie

Die Sicht der Beteiligten

Aufgrund von vertraglich abgesicherten Schweigepflichten hat es das Spotify-Management stets vermieden, allzu konkrete Aussagen zu den genauen Vergütungssätzen gegenüber Plattenfirmen zu machen. Um zu verstehen, wie sich die Situation wirklich darstellt, muss man deswegen direkt mit den Beteiligten sprechen – mit jemandem wie Nicolas Chevreux zum Beispiel: Seit nunmehr zehn Jahren betreibt Chevreux von Berlin aus die Independent-Plattenfirma „Ad Noiseam“, die sich zu einem internationalen Qualitätssiegel in Sachen Electronica, Breakbeats, Drum ‚n‘ Bass, Dubstep und artverwandten Genres entwickelt hat. Der Katalog umfasst inzwischen über einhundert Veröffentlichungen von Künstlern, die fast ausnahmslos in ihren jeweiligen Nischen zu den führenden Köpfen gerechnet werden dürfen. Die Situation von Ad Noiseam entspricht damit ziemlich genau der tausender anderer Plattenfirmen: keine Sekretärin, keine „Ferraris und Schlösser“, wie Chevreux im Scherz zugibt, aber dafür viele Überstunden und das stetige Risiko, das sich selbst eine scheinbar sicher geglaubte Scheibe nicht gut verkauft.

Seit einigen Monaten sind alle Ad-Noiseam-Alben nun auch per Spotify kostenfrei anhörbar. Wie hat sich dies auf das Label ausgewirkt? „Wenn ich mir die Zahlen von Spotify und dem vergleichbaren französischen Dienst Deezer anschaue, dann verdiene ich an 20.000 Streams ungefähr so viel wie an dem Durchschnittspreis gerade einmal einer CD“, so Chevreux, „klar muss ich diese CD auch noch pressen und dem Kunden schicken. Aber einen Katalog aus hundert Veröffentlichungen auf Spotify hochzuladen, braucht ebenfalls Zeit. Das kostet mich vielleicht mehr an Elektrizität, als ich dabei wieder rausbekomme.“ Wie aber sieht es mit dem oft von Spotify genannten Vorteil aus, Nutzer sanft an den Back-Katalog eines Labels heranzuführen, um so weitere Umsätze zu generieren? Die Realität sieht ernüchternd aus: „Ich erhalte ziemlich detaillierte Informationen zu dem genauen Verhalten der Hörer von den verschiedenen Plattformen, darunter auch einen vierhundertseitigen Bericht von Spotify. Und das Ergebnis ist, dass Leute online konservativer einkaufen und hören, als sie es in einem Plattenladen tun würden. Das bedeutet, dass das Verhältnis neuer Veröffentlichungen in meinen MP3-Verkäufen höher ist als bei meinen CD-Umsätzen. Es gibt immer wieder Nachfragen nach dem physischen Back-Katalog, aber fast niemand sieht ihn sich bei iTunes oder Spotify online an. Inmitten eines derart überwältigenden Stroms neuer Musik vergisst man alte Alben einfach – es sei denn, es handelt sich um einen sehr bekannten Künstler. So betrachtet ist die „Long-Tail“-Theorie nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurde.“

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