Einer, der über diese Fragen aus der Praxis berichten kann, ist Markus Reuter [3]. Ende der Neunziger trat Reuter als Solo-Künstler auf den Plan, später entwickelte er mit „Centrozoon“, einer höchst unkonventionellen aber ungemein erfolgreichen Formation, die sich den Randbereichen experimenteller Musik verschrieben hat, einen sehr eigenwilligen und persönlichen Stil. Als einer der Ersten hierzulande erprobte er das Führen eines Internet-Tagebuchs zu einer Zeit, als noch keiner von „Blogging“ sprach sowie die kostenfreie Veröffentlichung eines Albums im Netz. 2008 gründete er die Firma Touch Guitars, die sich der Entwicklung von auf die individuellen Bedürfnisse von Gitarristen gerichteten Instrumenten verschrieben hat. Doch auch als Künstler gibt es genug zu tun: Reuter ist heute ein erfolgreicher Musiker, der von Kollegen ungemein gefragt ist. Als wir ihn für ein Gespräch treffen möchten, schiebt er 17-Stunden-Schichten im Studio – durchaus keine Seltenheit in seiner Welt. Dabei rieten ihm seine beiden wichtigsten Lehrer, Karlheinz Straetmann und King-Crimson-Legende Robert Fripp, unabhängig voneinander davon ab, den Weg eines professionellen Musikers zu gehen und eine akademische Ausbildung einzuschlagen: „Für Fripp stellte sich die Situation so dar: Wenn man dazu bestimmt ist, Musik zu machen, wird man das sowieso machen, sogar wenn man etwas ‚Vernünftiges’ lernt. Und so ist das dann bei mir auch gekommen.“
Wie aber schafft er es heute als Berufsmusiker? „Ich schaffe das gar nicht“, gesteht Reuter, „Es ist ein ständiges Streben-nach, ein Ausprobieren, eine endlose Suche nach neuen Lösungen und Herausforderungen. Es geschafft zu haben wäre Stillstand. Wirtschaftlich gesehen besteht die Herausforderung und Chance darin, ein „Know-how“ und eine „Art-die-Dinge-zu-tun“ in eine Dienstleistung umzuwandeln und diese über Referenzen zu verkaufen. Meine Projekte sind also immer auch Referenzen für mich als Dienstleister und deswegen mache ich künstlerisch keine Kompromisse und investiere ständig.“ Gerade Letzteres hat in den vergangenen Jahren massiv an Bedeutung gewonnen und führt zu Engagements als klassischer Produzent, der sich um Bereiche wie Projektmanagement und Budgetverwaltung kümmert sowie als psychologischer Coach für private Einzelsitzungen zu berufs- und karriererelevanten Themen.
In die Sprache der Betriebswirtschaft übersetzt bedeutet das im Wesentlichen, das Geld stets dorthin fließt, wo Knappheit besteht und Individuen einzigartige Fähigkeiten anbieten können. Eine Studie [4] legte vor kurzem offen, welche Berufsgruppen in der Musikindustrie finanziell am lukrativsten sind. In der Liste der zwanzig Bestverdienenden waren vor allem Booking-Agenten, Anwälte, Produzenten, Sound-Ingenieure und A&Rs zu finden sowie einige Berufsbezeichnungen, für die man als Normalsterblicher erst das Lexikon zur Hand nehmen muss, um ihren Bedeutungsgehalt zu entschlüsseln. Die einzigen Kreativen in dieser Aufzählung stellten Filmkomponisten, Videospielkomponisten sowie die Orchestermusiker dar, die für die Einspielung der entsprechenden Soundtracks eingesetzt werden. Dahinter freilich steckt eine bestechend einfache Logik. In einer Welt, in der es zunehmend schwieriger wird, die eigene Stimme aus der Masse zu isolieren, werden sich diejenigen Berufe durchsetzen, die sich genau dies zum Ziel gesetzt haben: mittels der Veredelung aufgenommener Musik durch Mastering und Mixing. Mittels einer besseren visuellen Positionierung durch Logo-Entwicklung und ansprechende Cover-Designs. Mittels der Unterstützung bei PR, Marketing, Distribution und komplexen Rechtsfragen. Und vor allem natürlich mittels einer Steuerung in Richtung erfolgreicher Konzertkonzepte, um den lukrativen Live-Markt zu knacken.
Solange breitenwirksame Verwertungsmodelle ausbleiben, wird der größte Teil der Musiker weiterhin Kompromisse eingehen und sich nach alternativen Beschäftigungen umsehen müssen. Das aber ist keine Besonderheit der Zeit, in der wir leben, sondern eine offenbar immanente Eigenheit dieser Berufssparte. Das Ende des Berufsmusikertums steht zumindest noch nicht bevor – wohl aber ein langer Kampf um finanziellen Freiraum. „Durchhalten ist die oberste Priorität“, sagt Reuter dazu und bei ihm klingt es ebenso wie ein Härteste und eine spannende Herausforderung.
Tobias Fischer
[1] thecynicalmusician.com/2010/04/the-paradise-that-should-have-been-revisited
[2] www.informationisbeautiful.net/2010/how-much-do-music-artists-earn-online
[4] digitalmusicnews.com/stories/120710gigs
- Seite 1: Sind Berufsmusiker vom Austerben bedroht?
- Seite 2: Unterricht und Musiknutten
- Seite 3: Ansichten aus der Praxis
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