Mit dieser Philosophie fährt Viridian selbst nicht schlecht – zumindest kann Wiszniewski laut Eigenaussage von der Musik leben. Damit ist er, ganz klar, in der Minderheit. Ein kurzer Exkurs in einige Musikerforen hierzulande fördert schon recht bald eine eindeutige Tendenz zutage: Die einzigen ernstzunehmenden Einnahmequellen liegen in Cover-Bands, Auftritten bei Hochzeiten, Geburtstagspartys, Karnevalsfeiern und Stadtfesten, Musikunterricht oder maßgeschneiderten Angeboten für andere spezielle Anlässe. Kurz, wie es seitens der Betroffenen immer wieder so schön heißt, im Dasein als „Musiknutte“. Dass darin an sich nichts Verwerfliches liege, liest man dort recht oft. Zwar stimmt das auch, beschert den Beteiligten deswegen dennoch nicht gerade eine zufriedene Existenz. Stattdessen wird das tägliche Leben von Sorgen um den nächsten Auftrag, die Unmöglichkeit von Urlaub und den Verlust des magischen Gefühls gegenüber der Beschäftigung mit dem heiligen Gut Musik bestimmt. Für viele besteht die logische Konsequenz in einer möglichst breiten Streuung, in einem Hans-Dampf-in-allen-Gassentum. Doch wiegt das magere Einkommen den Stress nur selten auf. Da kann es kaum verwundern, dass eine Flötistin und Komponistin, die an dieser Stelle ungenannt bleiben soll, einen klaren Rat zur Hand hat: „Heirate einen tollen Typen, der gut verdient und dich in deiner Kunst finanziell unterstützt.“
Eines sollte man bei diesem verständlichen Lamento nicht vergessen: Die Vorstellung eines Berufsmusikertums, das über eine winzige Gruppe von Instrumentalisten und Autoren hinausgeht, ist eine extreme junge. Selbst im oft als „goldene Vergangenheit“ zitierten sechzehnten bis achtzehnten Jahrhundert waren die wenigen Profis dem Willen ihrer Förderer ausgeliefert und somit zu der Lieferung personalisierter Werke gezwungen: Johann-Sebastian Bach beispielsweise schrieb vor allem deswegen so viele Messen, weil dies von seiner Stelle als Kantor in Leipzig verlangt wurde. Alle, die sich in der Geschichte hingegen auf den Markt als Einnahmequelle verlassen haben, unterlagen ebenso dessen Schwankungen wie die besagten Schneider und Schreiner: Vivaldi verdingte sich als Musiklehrer in einem Mädcheninternat. Arnold Schönberg als Privatdozent. Der notorisch unter Geldsorgen leidende Mozart schrieb ohnehin für jede passende oder unpassende Gelegenheit. Der Wunsch, von der Kunst allein leben zu können, ist somit zwar ein hehrer, gegen dessen Realisierung jedoch die geballte Macht der Geschichte spricht. Was durchaus nicht nur, wie der zynische Wiszniewski behauptet, darauf zurückzuführen ist, dass der digitale Markt einer dringenden Verbesserung bedarf. Stattdessen entsteht für Berufsmusiker ein grundlegendes Paradox: Dass große Kunst nur unabhängig vom Markt entstehen kann – genau dieser aber für die Kunst, die er oft gar nicht haben will, bezahlen soll.
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