Als das Duo zur Jahrtausendwende mit ihrem Debüt-Album die erste virtuelle Band der Welt stellte und mit ihr auf Tour ging, beispielsweise. Oder als man fünf Jahre später bei den Grammys als Hologramm auftrat und mit dem Gedanken spielte, an einem einzigen Abend in allen Metropolen der Welt das Haus zu rocken – gleichzeitig. Damit sind Albarn und Hewlett zu den wohl widerwilligsten Propheten der Musikindustrie aufgestiegen. Denn Fortschritt um seiner selbst willen liegt den beiden denkbar fern.
Es ist bezeichnend, dass die Band als Gegenreaktion zu der Selbst-Verramschung der Branche in Formaten wie DSDS entstand: Man wollte die Industrie mit ihren eigenen Waffen schlagen, genau wie die Majors eine Band in der Retorte heranzüchten, nur eben mit einem weitaus besseren Soundtrack. Der eigentliche Witz bei den Gorillaz besteht darin, dass manche sie für die Zukunft halten – die Köpfe dahinter aber unverbesserliche Romantiker sind, die einen schmutzig geschrammelten Blues-Akkord auf einer staubigen Schellack-Platte jederzeit einem durchgestylten Synthesizersound vorziehen.
Oberflächlich gesehen stellt auch das aktuelle Album der Formation, „The Fall“, erneut einen cleveren Kommentar zum Status quo dar, kommen hier doch augenscheinlich sämtliche Trends der vergangenen Jahre und Monate zusammen: So wurde die gesamte Musik in nur vier Wochen auf einem iPad unter Verwendung von achtzehn preiswerten Apps aufgenommen und spiegelt damit den hektischen Puls, Gadget-Glauben und Mobilitäts-Fetischismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts wider.
Vertrieben wird die Sammlung in einem modernen Drei-Phasen-Modell: als kostenloser Download für die engen Fans. Als frei zugänglicher Stream für den Rest der Community. Und letztendlich in Kürze als handelsüblicher Tonträger. Natürlich zeugt die Konsequenz, mit welcher hier der Community-Gedanke bedient wird, von einem tiefen Verständnis der Mechanismen der digitalen Welt: Kostenlose Inhalte lenken die Aufmerksamkeit auf kostenpflichtige, virtuelle Daten kündigen physische Objekte an, die eigenen Kommunikationskanäle unterstützen traditionelle Marketing-, PR- und Distributions-Modelle. Neu allerdings, da mag man noch so viel an der Hype-Maschine drehen, ist nichts von alledem. Dafür fehlt diesmal schlicht der Wow-Effekt angesichts einer alles auf den Kopf stellenden Idee.
Musikalische Chancen
Musikalisch indes zeigt das Werk die Chancen auf, die sich durch Tablet-PCs und mobile Produktion ergeben: Skizzenhaft sind diese „On the Road“ aufgenommenen Songs, zugleich von einer sofort einnehmenden Spontaneität und einem bestechenden Fokus aufs Wesentliche. Die Arrangements sind transparenter, luftiger und unmittelbarer, zugleich experimenteller und verspielter als auf den Vorgängerwerken und lockern mit ihrer ungezwungenen Art das vor Vielschichtigkeit teilweise aus den Fugen tretende „Plastic Beach“ beträchtlich auf.
Die iPad-Poduktion ist dabei, gar keine Frage, ein interessanter Aspekt. Doch besteht die eigentliche Botschaft vielmehr darin, dass die Produktionsmittel im Grunde genommen belanglos geworden sind und von der rein menschlichen Kreativität des Künstlers verdrängt werden. Für Albarn, der im Vorfeld von „Plastic Beach“ einen Berg von unveröffentlichten Songs angehäuft hatte, ergab sich schlicht eine unerhoffte Möglichkeit, seinem Schaffensdrang ein öffentliches Ventil zu verleihen – und statt der Luft neuer Planeten weht der Verzicht auf komplexe Studio-Operationen hier wie ein frischer Wind durch die Tracks.
Man hat gerade in letzter Zeit immer wieder gefragt: Wo steht das Album im Jahr 2011? Die digitale Revolution hat bestehende Grenzen beiseite gefegt und Künstler schaffen sich heute selbst ihre eigenen Formate: Ex-Tears for Fears Mitglied Curt Smith veröffentlicht nur noch einzelne Songs. Die „Presidents of the United States“ veröffentlichen Apps. Der baskische Experimental-Künstler Mattin veröffentlichte ein sechs Stunden langes Extrem-Werk voller Krach und Stille. Die Welt scheint chaotisch und verwirrend- Und dann kommen die Gorillaz daher und zeigen: Es kann alles so einfach sein. Man macht Musik, spontan und aus dem Bauch, und dann haut man sie raus, direkt über die eigenen Netzwerke. Obwohl oder gerade weil nicht unbedingt ein Klassiker dabei herausgekommen ist: In „The Fall“ spiegelt sich die Verheißung der ersten Stunden digitaler Musikdistribution. Musik kehrt zurück zu ihren Ursprüngen, zum Moment, zum Spielerischen. Man muss das als eine positive Entwicklung begreifen. Wie sagte Damon Albarn es einmal so schön? „Wenn du Musik zu machen als Arbeit ansiehst, solltest du keine Musik machen.“ Ein romantisches Statement, ganz klar. Aber gleichzeitig eines, das ganz genau auf der Höhe der Zeit ist.
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