Digitale Kultur: MySpace

Schlechter Groschenroman

Die Geschichte von MySpace liest sich tatsächlich wie ein schlechter Groschenroman – zumindest aus der Perspektive von Julia Angwin in ihrem Buch „Stealing MySpace“: Im Jahr 2002 entdecken Mitarbeiter der Firma eUniverse ein neues Online-Netzwerk namens Friendster. Die Seite hat ganz eindeutig Potenzial, wirkt aber leicht unpersönlich und so entscheidet sich Brad Greenspan, der Geschäftsführer von eUniverse, mit einem Team aus unter anderem Chris DeWolfe und Tom Anderson, die kurz darauf eine Schlüsselrolle in der Weiterentwicklung einnehmen werden, ein ähnliches Projekt auf die Beine zu stellen. Innerhalb von weniger als zwei Wochen erstellt man, was auf den ersten (und durchaus auch zweiten Blick) wie eine glatte Kopie von Friendster aussieht und es im Wesentlichen auch ist: Eine bestechend simple Oberfläche, durch die man sich online „treffen“ und austauschen kann. Es gibt jedoch auch einige entscheidende Unterschiede zwischen Friendster und der neuen Seite, die man auf den Namen MySpace tauft, und über die Genialität einiger dieser Gedanken wurden bereits ganze Abhandlungen geschrieben: Profile können durch einfache HTML-Operationen personalisiert werden, man bemüht sich aktiv um Stars und vor allem um einen höheren Frauenanteil als auf Friendster. Und damit jeder neue Nutzer auch gleich zu Anfang wenigstens einen Freund hat, legt Andersen ein Profil an, das automatisch mit jedem Neuzugang verknüpft wird. Sein verwackeltes Webcambild wird rasch zu einem der bekanntesten Fotos im gesamten Netz, er selbst zu einem Sympathieträger und Aushängeschild für das Projekt. Die Taktik geht auf: Innerhalb von gerade einmal vier Jahren rollt MySpace den Markt auf und akquiriert eine Datenbank von über hundert Millionen Nutzern. Jeder ist plötzlich auf MySpace vertreten, vom Hausmann bis zur Geschäftsfrau und vom berühmten Filmregisseur zum Amateurfotografen. Was nur wenige wissen: Tom ist in Wahrheit ein eher zurückgezogener Typ, der von sich selbst immer wieder sagte, er sei „alles andere als ein beliebter Kerl“. Immer wieder gibt es Gerüchte, Tom sei in Wirklichkeit auch einige Jahre älter als in seiner offiziellen Biographie – keine gänzlich unwesentliche Hilfe beim Ansprechen eines jungen Publikums.

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