Was danach passierte, wird in „We Call It Techno!“ nacherzählt, dem möglicherweise tiefsten und umfassendsten Film, der jemals über diese Musik gedreht wurde. Maren Sextro und Holger Wick sehen elektronische Musik durch die Linse eines transatlantischen Ping-Pong-Spiels zwischen alter und neuer Welt: Während Kraftwerk, Krautrock und elektronischer Funk die Blaupause für die „Belleville Three“ (siehe oben) bildeten, verlagerte sich das Zentrum von Techno in den Neunzigern zunächst nach England, wo der kurze aber explosive Acid-Rausch die nächste Welle von Pionieren auslöste. Der Plattenhändler und Produzent Talla 2XLC sortiert in seinem Frankfurter Laden die unterschiedlichsten Neuveröffentlichungen aus den Bereichen Synthiepop, House, Detroit-Dance-Music und industriellen Klängen unter dem Label „Techno“ ein und sorgt dafür, dass sich der Begriff auch in Deutschland durchsetzt. Gerade als der Hype bereits beendet scheint, markiert der Mauerfall die zweite Stunde Null. Zwischen den beiden zusammengeführten Teilen Berlins entwickelt sich ein reger Austausch, und elektronische Tanzmusik wird zur ersten kulturellen Bewegung, bei der Ostdeutsche und Westdeutsche von Anfang an gleichgestellt sind. Berlin entscheidet in der Stildebatte die Definitionshoheit gegen die primär dem EBM-Sound verpflichteten Frankfurter für sich. Der Funke springt nach Köln, Hamburg und München über, Zeitschriften wie Frontpage und Groove entstehen. Doch Love-Parade und Mayday entzweien eine ursprünglich enge Community, Utopien einer Raving-Society zerbrechen.
Nichts an „We Call It Techno!“ ist sanfte Nostalgie. Die alten Wunden, das merkt man sofort, sind noch lange nicht verheilt. Promoter Wolle XDP erinnert an die Tiefpunkte und erzählt mit noch immer spürbarer Erregung, wie auf der Love-Parade der kommerzielle Wagen der Low-Spirit-Crew den familiären Charakter der Veranstaltung in den Boden stampfte. Claus Bachor beschreibt den Niedergang der Frontpage von einem tonangebenden Magazin zu einer von Fremdinteressen gesteuerten und Interessenkonflikten gebeutelten Postille, während Chefredakteur Jürgen Laarmann noch immer bedauert, dass man damals nicht wenigstens einmal den Versuch unternommen habe, den Schwung der Bewegung in ein politisches Statement oder gar eine Partei umzuwandeln.
- Seite 1: Digitale Kultur: Forever Techno
- Seite 2: We Call It Techno!
- Seite 3: SubBerlin
- Seite 4: Speaking in Code
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