Darf ich mal stören?

„Von Rechts wegen“: Ist die Störerhaftung tatsächlich abgeschafft?

Mitte Mai brach die sogenannte „Netzgemeinde“ in kollektiven Freudentaumel aus, denn die „GroKo“ hat (angeblich) die Störerhaftung abgeschafft. Aber hat sie das wirklich?

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Zu Anfang eine Anekdote. Am Anfang dieser Woche versuchte der Kolumnist, sich mit einer gegnerischen Anwältin aus München für die Mitte der Woche für einen Telefontermin in einer „Filesharing“-Angelegenheit zu verabreden. Geht nicht, sagt die Kollegin, am Donnerstag – 12. Mai – ist Kanzleiausflug, wir sind hier alle nicht da, sondern in Karlsruhe, da entscheidet der BGH. „Über das Geschäftsmodell der Kanzlei?“, möchte man da fragen, aber das verbietet die Höflichkeit und auch der Sachverstand. Aber ein bisschen so ist es wohl schon, sonst würden die bekannten Filesharing-Kanzleien dort nicht in Mannschaftsstärke im Zuschauerraum sitzen.

Berlin. Zufall oder nicht, gerade einen Tag zuvor hatte die „GroKo“, sich, man muss sagen: „angeblich“, auf die „Abschaffung der so genannten Störerhaftung“ geeinigt. Beispielskonstellation: In einer Studenten-WG lädt man lieber aktuelle Filme aus der P2P-Tauschbörse herunter, statt sich auf Prüfungen vorzubereiten. Der Inhaber des Internet-Anschlusses erhält deshalb eine Abmahnung. Er kann zwar plausibel machen, dass nicht er den Urheberrechtsverstoß begangen hat (WG-Konstellation), er weiß aber nicht, wer der konkrete Täter ist. Hier haftet(e) der Anschlussinhaber in der Regel nicht als „Täter“, aber doch als „Störer“, wenn er nicht beweisen konnte, dass er alle Nutzer des WiFi darüber belehrt hatte, dass sie keine Rechtsverletzungen über sein Internet begehen dürfen. Ähnliches galt, in anderem Maßstab, für Betreiber offener Netze, also von „Hot Spots“. Auch diese mussten Abmahnungen wegen Rechtsverstößen durch Dritte fürchten.

Diese Störerhaftung soll nun dadurch abgeschafft werden, dass Funknetzbetreiber rechtlich komplett mit „Access-Providern“ gleichgestellt und somit rechtlich privilegiert werden. Ein konkreter Gesetzesentwurf zu dieser „Einigung“ existiert zum Redaktionsschluss allerdings noch gar nicht.

Auch ist nicht klar, sondern im Gegenteil sehr umstritten, ob diese Gleichstellung dazu führt, dass Abmahnungen verhindert werden, da unsicher ist, ob Unterlassungsansprüche von dieser Privilegierung überhaupt erfasst sind. Soweit real der Hintergrund zum ersten Begeisterungssturm im Netz, den gab es am 11. Mai.

Szenenwechsel: Karlsruhe, Bundesgerichtshof, 12. Mai, um die Mittagszeit. Wir stellen uns die eingangs erwähnte Kollegin vor, vielleicht fragt sie in der BGH-Kantine gerade, ob sie einen Schnaps bekommen kann. Denn die praktisch zunächst einmal bedeutsamere Entscheidung wurde heute hier und nicht in Berlin getroffen. Das höchste deutsche Zivilgericht hat gerade entschieden, dass den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht trifft, sodass Fälle wie der oben genannte zukünftig (noch) eher zugunsten des Wifi-Betreibers entschieden werden dürfte, da die Frage von Sicherungsmaßnahmen oder Belehrungen in diesem Zusammenhang keine Rolle mehr spielt.

Die Folge von beiden Ereignissen: Feuerwerksartiger Jubel in allen Gazetten, Blogs und Timelines. Manche Kollegen konstatieren gar ein „Ende des Geschäftsmodells der Abmahnung“. Donnerwetter!

Der Kolumnist selbst allerdings hat bislang Böller und Raketen noch nicht in Stellung gebracht, genauso wenig übrigens, wie er sich bislang nach jedem hysterischen Abmahnwellen-Kassandra-Ruf vom Balkon zu stürzen pflegte oder dies anderen empfahl.

Was von der Störerhaftung übrig bleibt…

Vergessen wir nicht, dass die Störerhaftung im praktisch sehr relevanten Filesharing-Bereich nicht das einzige „Problem“ darstellt, denn auch die Täterhaftung geht recht weit. Und vergessen wir auch nicht, dass in den meisten Abmahnfällen gar keine Gerichtsverfahren geführt, sondern wegen der Kostenrisiken außergerichtliche Einigungen erzielt werden. Dass also irgendein „Geschäftsmodell“ gekippt worden wäre, sehe ich – nicht. Ich befürchte auch: Sie werden Ende des Jahres einen weiteren Text zu diesem Thema lesen müssen.

Rechtsanwalt Stephan Dirks

(Bild: Lisa Krechting)
Stephan Dirks ist Fachanwalt für Urheberrecht und Medienrecht in der Kanzlei DIRKS.LEGAL mit Sitz in Hamburg und Kiel. Web: http://www.dirks.legal

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