Wer von George Orwells Klassiker „1984“ nicht nur aus all den Texteinstiegen kennt, in denen er bemüht wird, sondern wirklich gelesen hat, der weiß, wie sich Eltern kleiner Kinder am Abendbrottisch fühlen. Sie wissen: alles, was hier besprochen wird, wird morgen im Kindergarten zur Sprache kommen. Der Berufsgeheimnisträger – Arzt, Anwalt, BND-Mitarbeiter und so fort – wägt hier daher jedes Wort ab. Die eigene Existenz könnte davon abhängen.
Und jetzt noch das: Der Sprössling wünscht sich einen elektronischen Spielgefährten zu Weihnachten. Bei Jungs hört der auf den Namen „I-Que“ und ist ein Roboter. Bei Mädchen geht es vielleicht um „My Friend Cayla“. Dass das Ding Geräusche machen kann, ist schlimm genug. Aber dabei bleibt es nicht. Cayla und Konsorten hören auch noch zu. Und da sie mit ihren Erschaffern vernetzt sind, speichern sie jedes in ihrer Umgebung gesprochene Wort und übertragen es an ihre Erbauer, wenn man ihnen dazu die Möglichkeit gibt, indem man ihnen eine Bluetooth-Verbindung zum eigenen Smartphone verschafft.
Harmloses Kinderspielzeug
Natürlich: Cayla muss das tun, sie macht nur ihren Job. Denn wie soll sie ohne Internetverbindung all die Fragen beantworten, die der kleine Louis und die kleine Carlotta ihr stellen möchten? „Wie nennt man ein junges Pferd?“ wird Cayla in der Werbung fröhlich gefragt und sie antwortet pflichtschuldig: „Man nennt es Fohlen!“. Da lernt Carlotta ordentlich was, und das ganz ohne Papa und Mama auf den Geist zu gehen. Auf Google, Wikipedia & Co. muss Cayla dazu aber natürlich Zugriff haben, ist ja klar.
Aber Cayla lernt vielleicht viel mehr über ihre Besitzer als diese von ihr, da sie eben alle Gespräche, die um sie herum geführt werden, speichert. Und wenn wir uns die – rein formal europäischen Standards entsprechende – Datenschutzerklärung des Spielzeugs inhaltlich ansehen, um uns rückzuversichern, dass Cayla das alles nur in den besten Absichten tut, wartet der nächste Schock: Der Hersteller lässt sich darin umfangreiche Rechte zur Nutzung und Speicherung der vom Benutzer gespeicherten Audiodateien einräumen, die so schwammig gehalten sind, dass sie eine wirksame Kontrolle durch den Konsumenten nicht ermöglichen. Dass die Audiodaten bei Bedarf an Strafverfolgungsbehörden übergeben werden, ist schon fast nicht mehr der Rede wert.
Recht skurril mutet auch die Klausel an, nach der die Sprachtechnologie zur Ankündigung von AGB-Änderungen verwendet werden darf. So können die 5-jährige Carlotta und Cayla das Geschäftliche gleich unter sich ausmachen. Da fällt es schon fast nicht mehr ins Gewicht, dass es nach Medienberichten auch für Fremde ohne weiteres möglich ist, sich über Bluetooth Zugang zu der Puppe zu verschaffen. Die machen dann aber wenigstens keine Schleichwerbung für Disney-Produkte, darauf ist Cayla nämlich programmiert.
Cayla und I-Que werden übrigens über dieselbe deutsche Firma namens „Vivid“ vertrieben. Da staunt man nicht schlecht, wenn man sich in der Datenschutzerklärung bis zu der Stelle vorgearbeitet hat, an der die verantwortliche Stelle für die Datenverarbeitung benannt wird: Nicht etwa die Vivid GmbH, sondern eine „Genesis Industries Limited“ mit Sitz in Hongkong wirbt hier um Ihr Vertrauen. Der Käufer macht sich also am besten schon einmal mit dem chinesischen Strafrecht vertraut. Wer weiß, was Carlotta Cayla erzählt.
Das bisschen „Schutz“, das die Datenschutzerklärung und irgendwelche AGB-Regelungen vorgaukeln, verwandelt sich hier wie so oft: In nichts. Wie soll ein Verbraucher den chinesischen Hersteller an den für Cayla geltenden Bestimmungen festmachen? Wie soll er kontrollieren, welche Daten wie lange gespeichert und wozu sie tatsächlich verwendet werden?
Wir stehen hier vor demselben Problem, das uns auch Bezug auf Google, Facebook und Apple beschäftigt – oder jedenfalls beschäftigen sollte. So lange global agierende Konzerne Konsequenzen bei Verstößen gegen die Rechtsordnungen, in denen sie aktiv sind, nicht fürchten müssen, bleibt dem Verbraucher nur, sich mit der eigenen, faktischen Rechtlosigkeit abzufinden. Oder endlich Konsequenzen für ihr Konsumverhalten und im Falle Caylas: den Stecker zu ziehen.
Stephan Dirks ist Fachanwalt für Urheberrecht und Medienrecht in der Kanzlei Dirks und Diercks mit Sitz in Hamburg und Kiel. Im Web finden Sie ihn unter www.dirks.legal/blog.
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